Belgien steht vor heißem Winter

ZIELE Der Streik ist nicht nur Protest gegen die Sparpolitik der Regierung. Es geht um mehr: um die politische Zukunft des Landes

BRÜSSEL taz | Belgien erlebte am Montag den schwersten Generalstreik seit Jahren. Mit dem Ausstand protestierten die Gewerkschaften gegen die Austeritätspolitik der neuen rechtsliberalen Regierung. Doch was auf den ersten Blick wie ein normaler Protest gegen die von der EU-Kommission geforderte Sparpolitik aussieht, ist in Wahrheit viel mehr. Die Gewerkschaften, angeführt von der konfliktorientierten sozialistischen FGTB, protestieren nämlich nicht nur gegen die Rente mit 67 oder gegen massive Einsparungen im Sozialbudget.

Es geht auch um die Zukunft des Landes: Viele Belgier werfen dem neuen Premier Charles Michel vor, eine Marionette des flämischen Nationalistenführers Bart De Wever zu sein. De Wever ist Chef der separatistischen Partei Neu-Flämische Allianz (N-VA), der größten Partei Belgiens, die Flandern vom Rest lösen und das Königreich in eine Konföderation ohne echte Zentralmacht und ohne Solidarität zwischen den Regionen umwandeln will.

De Wever führt auch das große Wort in der Regierung, dem zwei weitere konservative flämische Parteien sowie die liberale MR von Premier Michel angehören. Der flämische Nationalist (Spitzname: „Dolf“ wie Adolf) hat ein offenes Ohr für den flämischen Unternehmerverband VOKA. De Wever war es auch, der harte Schnitte im Sozialbereich forderte – ohne sich zuvor mit den Gewerkschaften an einen Tisch zu setzen.

Dies führt jetzt zu verhärteten Fronten und harscher Rhetorik. Die neue Regierung stehe für die „soziale Hölle“, behauptet FGTB-Chef Marc Goblet, der der sozialistischen Opposition nahesteht. Demgegenüber wirft De Wever den Gewerkschaften „Lügen“ und „Manipulation“ der Bürger vor. Die Streithähne wollen sich erst Mitte dieser Woche an einen Tisch setzen; die Gewerkschaften drohen aber schon jetzt mit neuen Aktionen.

Kürzungen im Sozialen

Besonders wütend macht die Arbeitnehmervertreter, dass die Regierung zwar den Belgiern Sozialkürzungen zumutet, sich zugleich aber vehement gegen höhere Unternehmenssteuern wendet. Für eine höhere Besteuerung des Kapitals, das in Belgien ähnlich wie in Luxemburg besondere Privilegien genießt, macht sich vor allem die christdemokratische flämische Gewerkschaft CSC stark.

„Ich hoffe, dass die Politiker ihre Meinung noch ändern“, sagte CSC-Chefin Marie-Hélène Ska. Belgien steht ein heißer Winter bevor. ERIC BONSE