„Wir werden nicht überrollt“

ARBEITSMIGRATION Die Zuwanderer aus Osteuropa sind entweder Akademiker oder sie haben gar keine Berufsausbildung, sagt der Ökonom Holger Schäfer

■ Der 44-jährige Wirtschaftswissenschaftler ist Experte für europäische Beschäftigungsstrategien am arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW).

taz: Herr Schäfer, der Arbeitsmarkt in Deutschland hat sich vergleichsweise gut entwickelt, in anderen EU-Ländern aber nicht. Gibt es da Wechselwirkungen?

Holger Schäfer: Die Arbeitsmärkte in den europäischen Ländern sind nicht sehr stark miteinander verbunden. Im Moment sieht es für Deutschland gut aus. Das war aber mal anders. Im Jahre 2005 galt Deutschland als „der kranke Mann Europas“, und die anderen EU-Länder haben uns dazu aufgefordert, Reformen in Angriff zu nehmen.

Warum haben sich einige EU-Länder so schlecht entwickelt ?

Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Wir haben es in Griechenland mit einer Krise der Institutionen, des Staates zu tun. In Spanien gab es eine Immobilienblase, die geplatzt ist mit einer Auswirkung auf den Finanzsektor. Der französische Arbeitsmarkt war immer schwankend, das hat sich nicht sehr verändert.

Es heißt mitunter, das exportstarke Deutschland profitiere von der gemeinsamen Währung, die im Ausland einen stabilen Absatz garantiere. Dies benachteilige die Nachbarländer.

Von dieser These halte ich nichts. Die Exportstärke Deutschlands war immer da, und den Euro gibt es auch schon eine Weile. Die gemeinsame Währung hätte also schon früher eine Rolle spielen müssen für die Unterschiede zwischen den EU-Ländern. Die gute Auftragslage in der Industrie in Deutschland hängt mit der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung zusammen. Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass das auch etwas mit der Agenda 2010 zu tun hat, die Reformen nicht nur bei der Arbeitslosensicherung, sondern auch bei der Rente und in der Zeitarbeit mit sich brachte.

Werden sich die Unterschiede zwischen den EU-Ländern in Zukunft vermindern ?

Wir können Anzeichen von Konvergenz erkennen, insbesondere zu einigen osteuropäischen Ländern. In Polen zum Beispiel hatten wir vor gar nicht so langer Zeit sehr hohe Arbeitslosenquoten von bis zu 20 Prozent. Das hat sich halbiert.

Wie kurbeln die unterschiedlichen Entwicklungen die Wanderungsbewegungen an?

Die Zahl der Zugewanderten aus den südeuropäischen Staaten nach Deutschland hat insgesamt etwas zugenommen, in früheren Jahren gab es hingegen mehr Abwanderungen in diese Länder. Die Migration aus den osteuropäischen Ländern nach Deutschland ist erheblich stärker.

Kommen da nun die Fachkräfte oder die Armen?

Die Qualifikationsstruktur der Zuwanderer aus Osteuropa ist zweigipfelig. Das heißt, wir haben einen hohen Anteil der Akademiker, die sich gut integrieren am Arbeitsmarkt und wenig Sprachprobleme bekommen. Es gibt aber auch einen hohen Anteil an Geringqualifizierten, also an Leuten ohne Berufsausbildung. Dieser Anteil ist bei den Migranten aus Osteuropa höher als bei den Einheimischen. Da schon die deutschen Arbeitslosen ohne Qualifikation in den Arbeitsmarkt schwer zu integrieren sind, stellt sich dieses Problem bei den Migranten wegen der Sprachprobleme noch mal stärker.

Als die Freizügigkeit für polnische Arbeitskräfte im Mai 2011 kam, herrschte allgemein die Befürchtung, jetzt überschwemmten Billigarbeitskräfte das Land.

Das hat sich nicht bewahrheitet. Auch die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien wird keine Welle, die uns überrollt.

Die Sorge, dass Zuwanderung die Löhne im unteren Bereich noch mal drückt, könnte ja auch überholt sein, wenn ab 2015 der allgemeine gesetzliche Mindestlohn kommt.

Wir wissen nicht, wie sich der Mindestlohn überhaupt auf den Arbeitsmarkt auswirken wird und auf die Nachfrage nach Arbeitskräften, auch den Zugewanderten. Das muss sich erst noch zeigen.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH