Lettlands Regierung in der Krise

Ministerpräsident Kalvitis zwischen Korruptionsvorwürfen und Ministerrücktritten

STOCKHOLM taz ■ Es gab keinen EU-Gipfel für Lettlands Ministerpräsidenten Aigars Kalvitis. Noch bevor dieser beginnen sollte, reiste der Regierungschef von Lissabon wieder nach Riga zurück. Eine von ihm selbst ausgelöste Krise ist nämlich dabei, ihn und seine Regierung zu kippen. Nicht nur 5.000 DemonstrantInnen – die größte Kundgebung seit Erringung der Selbstständigkeit des Landes – forderten am Donnerstag vor dem Parlament Kalvitis’ Rücktritt. Auch Staatspräsident Valdis Zatlers stimmte nun in die Kritik ein. Am Freitag trat mit Außenminister Artis Pabriks einer der wichtigsten Minister aus Protest zurück. Ein weiterer Minister, Aigars Stokenbergs, wurde von Kalvitis am selben Tag entlassen, weil er ihm die Gefolgschaft versagte.

Auslöser der Regierungskrise ist die Entlassung des Chefs der Antikorruptionsbehörde durch Kalvitis. Ein wichtiger Posten in einem Land, das als das korrupteste der EU gilt. Dessen eigene Medien sprechen mittlerweile immer öfter von einer „Bananenrepublik“. Sofern sie das dürfen und nicht den Oligarchen gehören, denen vorgeworfen wird, die eigentlichen Herrscher des Landes zu sein und große Teile von Parlament und Regierung auf ihrer Lohnliste zu haben.

KritikerInnen verstehen die Entlassung des obersten Korruptionsbekämpfers Aleksejs Loskutovs auch als Versuch der Regierung, eine laufende Korruptionsermittlung zu stoppen, die für die konservativ-liberalen Parteien der Regierungskoalition immer unbequemer wird. Schon sind einige Verfahren wegen illegaler Wahlkampffinanzierung und Stimmenkaufs eingeleitet. Vor kurzem musste der Parlamentspräsident gehen. Womöglich aber war all das erst die Spitze des Eisbergs.

„Ich habe die Befürchtung, dass Demokratie und Justiz im EU-Land Lettland sich in Richtung auf Zustände wie im Russland Putins hinbewegen“, warnt Georgs Andrejevs. Auch der ehemalige lettische Außenminister und jetzige Europaparlamentarier der liberalen Regierungspartei „Lettlands Weg“ glaubt, die Oligarchen steuerten hinter den Kulissen die Geschicke des Landes. Sogar die US-Botschafterin in Riga, Catherine Todd Bailey, meldete sich in dieser Woche ganz undiplomatisch zu Wort und sprach in einer Rede, deren Manuskript vorher durchgesickert war, damit auch wirklich alle wichtigen Medien vor Ort waren, von Rückschritten bei der Entwicklung der Demokratie in Lettland und der Korruptionsbekämpfung. Da hat, vermutet Georgs Andrejevs, „das Weiße Haus direkt gesprochen“.

„Die Regierung hat mit der Entlassung von Loskutovs einen Fehler gemacht. Den muss das Parlament korrigieren, oder die Regierung muss ausgewechselt werden“, sagte Staatspräsident Zatlers auf einer Pressekonferenz am Donnerstag. Kalvitis hat die für kommende Woche anstehende Parlamentsabstimmung über Loskutovs Schicksal zur Vertrauensfrage für seine Regierung erklärt. „Damit ist zu 99 Prozent sicher, dass er gehen muss“, zitiert die Nachrichtenagentur Leta ein Vorstandsmitglied seiner „Volkspartei“.

REINHARD WOLFF