Verarmte Landwirte in Indien: Schuldenerlass geht an Bauern vorbei

Die Regierung in Delhi will mit einem groß angelegten Schuldenerlass überschuldeten Kleinbauern helfen und so die hohe Suizidrate auf dem Land senken.

Von Liberalisierung und Weltmarktintegration in die Bedrängnis gebracht: indischer Bauer Bild: dpa

DELHI taz Es klang wie eine kleine Revolution, als Finanzminister Palaniappan Chidambaram vor wenigen Wochen Indiens Staatshaushalt für das kommende Finanzjahr vorstellte. Denn darin tauchte ein Posten von 15 Milliarden US-Dollar auf, mit dem so niemand gerechnet hatte: Ein Schuldenerlass für Kleinbauern.

Der Staat möchte die Schulden jedes Landwirts begleichen, sofern er sie bei Banken oder offiziellen Instituten angehäuft hat und bis zu zwei Hektar Land besitzt. Bauern mit mehr Land sollen ein Viertel ihrer Schulden erlassen bekommen. Die Ausgaben für Bildung sollen um ein Fünftel steigen, das Budget für Gesundheitsausgaben um 15 Prozent. Bis Ende Juni soll das milliardenschwere Paket umgesetzt werden, das die Not auf dem Land beenden soll.

Doch schnell meldeten sich Kritiker. Das Entschuldungsprogramm gehe an den Realitäten vorbei. Denn die Größe der Grundstücke der Kleinbauern ist sehr unterschiedlich. In Vidarbha, Indiens Baumwollregion im Bundesstaat Maharashtra, haben die meisten Bauern im Schnitt drei Hektar Land und profitieren somit kaum vom Schuldenerlass. Auch sind ihre Gläubiger meist private, inoffizielle Geldverleiher. Vidarbha erlangte in den vergangenen Jahren als Indiens Selbstmordhochburg traurige Berühmtheit: Wegen Überschuldung nehmen sich dort jedes Jahr Tausende Baumwollbauer das Leben.

Die dortige Entwicklung zeigt, wie Indiens Kleinbauern vom Wirtschaftsboom übergangen wurden. Mehr noch: Es ist ein drastisches Beispiel dafür, wie Liberalisierung und Weltmarktintegration Kleinbauern in in Bedrängnis gebracht haben.

Seit Indiens Wirtschaftlichsliberalisierung Anfang der 90er Jahre konzentrierte sich jede Regierung in Delhi auf Investitionen multinationaler Konzerne. Dafür benötigte Indien Kredite von der Weltbank. Doch deren Auflagen und die Politik der Welthandelsorganisation (WTO) waren für ländliche Regionen dramatisch: Indien senkte gemäß Weltbank-Forderungen die Zölle für Agrarimporte. Fortan überschwemmte etwa subventioniertes Getreide aus Europa und den USA die indischen Märkte. Dort verfielen die Preise.

Den Preisverfall bekamen am stärksten die Bauwollbauern zu spüren. Der Weltmarktpreis von Baumwolle sank bis auf ein Fünftel. Zugleich warben multinationale Agrarkonzerne wie Monsanto für ihr genmanipuliertes Hightech-Saatgut. In Indiens Baumwollregionen ist heute vielerorts kein konventionelles Saatgut mehr erhältlich.

Der Anbau der als lukrativ gepriesenen genmanipulierten Baumwolle erwies sich als tückisch. Die Baumwollbauern mussten teuren Spezialdünger kaufen und dafür Kredite aufnehmen. Weil sie oft kaum Sicherheiten aufweisen konnten, gingen sie zu privaten Geldverleihern, die bis zu 30 Prozent Zinsen verlangen. Als die Ernten schlechter ausfielen als erwartet, konnten viele die Wucherkredite nicht mehr bedienen. Die Geldverleiher eigneten sich das Land ihrer überschuldeten Gläubiger an, von denen sich viele aus Verzweiflung umbrachten.

Der Schuldenerlass der Regierung wird daran nicht viel ändern, weil er die Kredite der informellen privaten Geldverleiher mit ihren Wucherzinsen nicht betrifft. Viele Kommentatoren sprechen von einer populistischen Maßnahme, die nur Symptome behandelt und vor allem Wählerstimmen sichern soll: 2009 stehen in Parlamentswahlen an.

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