Ruandische Hutu-Miliz wagt die Machtprobe: Angriff auf Kriegsvertriebene

Der Angriff der Hutu-Miliz FDLR auf Flüchtlinge im Kongo fordert die UNO heraus. Ein EU-Beauftragter droht: Umsiedlung oder Krieg.

Flüchtlingslager im Kongo. Bild: dpa

BERLIN taz Es war der blutigste Angriff auf Kriegsvertriebene in der Demokratischen Republik Kongo seit dem Friedensabkommen für Ostkongo im Januar. Neun Menschen wurden getötet und über 20 verletzt, als mutmaßliche Kämpfer der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte für die Befreiung Ruandas) am Mittwoch das Lager Kinyandoni überfielen, rund 80 Kilometer nördlich von Goma, Provinzhauptstadt von Nord-Kivu. Nach UN-Angaben raubte eine FDLR-Einheit eine Hilfsstation in dem Lager mit 5.000 Bewohnern aus; dann schossen die Milizionäre auf die Flüchtlinge außerhalb. Während die FDLR jede Verantwortung zurückwies, obwohl sie das Gebiet kontrolliert, sprach die UN-Mission im Kongo (Monuc) von einem "terroristischen Akt".

Sämtliche UN-Hilfswerke suspendierten ihre Aktivitäten in der Region. Nord-Kivu zählt rund 860.000 Kriegsvertriebene; der Großteil der Provinz wird entweder von den ruandischen FDLR-Milizen, den Rebellen des kongolesischen Tutsi-Generals Laurent Nkunda oder kleineren Milizen beherrscht. Kämpfe dauern an, trotz des Friedensabkommens von Goma, in dem Regierung und Nkunda-Rebellen - nicht aber die FDLR - sich am 23. Januar zur Einstellung der Kämpfe im Ostkongo bekannten. Seitdem ist die Zahl der Flüchtlinge in Nord-Kivu um rund 100.000 gestiegen. Im jüngsten Lagebericht spricht die humanitäre UN-Abteilung OCHA von "verallgemeinerter Hungersnot" in mehreren Landstrichen, "wo die Bewohner sich wegen Vergewaltigungen und Übergriffen durch die FDLR nicht auf die Felder trauen".

Eigentlich sollte schon längst eine Militäroffensive gegen die Miliz im Gange sein, die zum Teil von Tätern des ruandischen Völkermords 1994 geführt wird. Im November 2007 bekannten sich die Regierungen Kongos und Ruandas im "Nairobi-Communiqué" zu gemeinsamen Aktionen gegen die FDLR; am 15. März lief ein Ultimatum von Kongos Regierung gegen die Miliz auf, den Kongo friedlich zu verlassen. Mangels funktionierender Armee ist Kongos Regierung aber ebenso wenig zu Militärschlägen gegen die FDLR in der Lage wie die UN-Blauhelme in Kivu. Seit 2002 organisiert die UNO Rückführungen ruandischer Hutu-Milizionäre aus dem Kongo in ihre Heimat auf freiwilliger Basis; rund die Hälfte von ihnen hat dieses Angebot genutzt.

Um auch gegen die im Kongo verbliebene Hälfte vorzugehen, hält die EU seit 1. Mai für vier Monate die Präsidentschaft des "Nairobi-Prozesses", der das Kommuniqué vom November 2007 umsetzen soll. Wie der zuständige EU-Sonderbeauftragte Roland Van De Geer letzte Woche bei einem Besuch in Berlin erklärte, müssten sich die FDLR-Kämpfer und ihre Angehörigen entscheiden: Entweder freiwillige Rückkehr nach Ruanda oder endgültige Niederlassung im Kongo, "ohne Waffen, unter Achtung der Gesetze und überwacht vom UNHCR", so der EU-Beauftragte. Dafür würden Sammlungsorte in Katanga sondiert.

Wer dennoch im Ostkongo bleibe, beispielsweise wegen lukrativer Mineraliengeschäfte, "den müssen wir bekämpfen", so Van De Geer weiter. In Brüssel zirkulieren dazu Überlegungen, angestoßen von Frankreich, zu einer EU-Eingreiftruppe. Der EU-Beauftragte hält das zwar für wünschenswert, aber nicht für politisch realisierbar.

Der jüngste Angriff könnte die Planspiele beschleunigen, zumal er kurz vor dem Eintreffen des UN-Sicherheitsrats in der Demokratischen Republik Kongo als Teil seiner laufenden Afrikareise kommt. Versuche, die FDLR in die Suche nach einer Lösung einzubinden, sind bereits gescheitert: Die Miliz boykottierte ein Treffen mit Kongos Regierung und UNO in Kisangani Ende Mai.

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