Obama sucht die Entscheidung

GESUNDHEITSREFORM US-Präsident will sein wichtigstes innenpolitisches Projekt auch gegen den Widerstand der Republikaner durch den Kongress bringen. Das politische Risiko ist groß

„Alles, was über das Thema zu sagen war, ist gesagt worden“, meint der Präsident

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Es soll das Machtwort zum Ende einer in die Länge gezogenen Debatte sein: Barack Obama will die Gesundheitsreform in den USA bis zur Osterpause durch den Kongress bringen. „Wir haben ein Jahr lang diskutiert“, sagte er in Washington. „Alles, was über das Thema zu sagen war, ist gesagt worden. Jetzt muss abgestimmt werden – dafür oder dagegen.“

Als Kulisse für sein Machtwort hat Barack Obama Ärzte und Krankenschwestern in Dienstkleidung gewählt. Zusammen mit ihnen trat er am Mittwochnachmittag im East Room im Weißen Haus vor die Kameras. In demselben Raum hat er ein Jahr zuvor die Gesundheitsreform angestoßen. Seither sind alle Anläufe, das Projekt in einem normalen parlamentarischen Verfahren durchzusetzen, gescheitert. Zwar hat der Senat bei einer Abstimmung am Heiligabend die Reform in der ersten Lesung mit der nötigen großen parlamentarischen Mehrheit von 60:40 Stimmen angenommen.

Doch seit Ende Januar bei Nachwahlen in Massachusetts der Republikaner Scott Brown den Senatorensitz des verstorbenen Demokraten Ted Kennedy übernahm, existiert diese „Super-Mehrheit“ nicht mehr. In einer zweiten Lesung im normalen parlamentarischen Verfahren hätte die Reform keine Chance mehr.

In einem letzten Versuch, einzelne Republikaner auf seine Seite zu ziehen, hat Obama in der vergangenen Woche einen siebenstündigen „Gesundheitsgipfel“ organisiert, der im Fernsehen live übertragen wurde. Doch die Debatte brachte keinerlei Annäherungen.

Die Gesundheitsreform und das Versprechen einer Krankenversicherung für alle war ein Kernstück in Obamas Wahlkampf. Seither laufen die Republikaner Sturm dagegen. Unterstützt von rechten Bewegungen protestieren sie gegen einen „starken Staat“, gegen Steuererhöhungen und gegen mehr Kontrolle – sowohl der einzelnen BürgerInnen als auch der Versicherungen.

Um die Reform zu retten, bleibt Präsident Obama jetzt nur noch der Verfahrenstrick der „reconciliation“. Bei der Rede im East Room fiel dieses Stichwort nicht. Doch er lässt keinen Zweifel daran, dass er das Gesetz auf dem Wege der „reconciliation“ haben will. Dabei ersetzt eine einfache Mehrheit die „Super-Mehrheit“. Doch selbst diese einfache Mehrheit wackelt. Denn auch DemokratInnen sind versucht, gegen die Reform zu stimmen. Sie treibt unter anderem die Sorge vor den zu erwartenden Kosten – Barack Obama beziffert sie auf rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Und der Unmut an der Basis. Bei Umfragen sind zurzeit nur 25 Prozent der AmerikanerInnen für die Reform in der jetzigen Version.

Kaum hat der Präsident am Mittwoch zu Ende gesprochen, geht der erwartete Sturm der Entrüstung los. Rechts beschwören Republikaner eine Kostenlawine und versprechen ihren Widerstand. Links bedauern demokratische Politiker wie Anthony Weiner in New York, dass Obama die Gründung einer staatlichen Alternative zu den ausschließlich privaten Krankenversicherungen letztlich verworfen hat.

„Die Sache muss erledigt werden“, sagt Präsident Obama. Und fügt hinzu, dass er nicht weiß, ob es sich politisch „lohnt“. Oder nicht. Tatsächlich riskiert er viel. Einerseits kann er seine unpopulär gewordene Reform nicht beerdigen, ohne politisch das Gesicht zu verlieren. Andererseits ist nicht ausgeschlossen, dass ihn seine eigene Mehrheit im Stich lässt.

Und selbst wenn die Gesundheitsreform bis Ostern im Verfahren der „reconciliation“ gelingt, ist der Streit darüber längst nicht beendet. Der republikanische Senator Mitch McCon- nell hat bereits die nächste Schlacht im Wahlkampf vor den Mid-Term-Elections im November angekündigt. „Falls das Gesetz durchgeht“, drohte McConnell, „wird jeder republikanische Kandidat einen Wahlkampf für seine Abschaffung führen.“