Zwischen Reform und Boykott

MOLDAU Mit der Abstimmung über eine Änderung der Verfassung will die rechtsliberale Regierung die politische Krise des Landes bewältigen

Frust im ärmsten Staat Europas über wirtschaftliche Lage und Politgezänk

VON BARBARA OERTEL

BERLIN taz | Am Sonntag erleben die Menschen in der Republik Moldau eine Premiere: Erstmals seit der Unabhängigkeit im Jahre 1991 sollen sie mit einem Referendum über eine Verfassungsänderung abstimmen, der zufolge der Staatspräsident künftig vom Volk gewählt wird.

Damit soll das Problem gelöst werden, dass es seit den beiden Parlamentswahlen vom April und Juni vergangenen Jahres nicht gelungen ist, einen neuen Präsidenten zu wählen, weil die erforderliche Dreifünftelmehrheit im Parlament nicht zustande kommt.

Die Initiative der seit Juni 2009 regierenden rechtsliberalen Vierparteienkoalition „Allianz für die europäische Integration“ ist jedoch alles andere als unumstritten. So haben in den vergangenen zwei Wochen die Stadtverwaltung der zweitgrößten Stadt, Belzy, das Regionalparlament des autonomen Gebiets Gagausien sowie die Verwaltungen von über hundert Dörfern und kleinen Ortschaften die Bevölkerung dazu aufgerufen, den Urnen fernzubleiben. Wenn sich die örtliche Macht Anweisungen des Zentrums widersetze, dann beginne der Zerfall, schrieb die Wochenzeitung Kommersant Plus und beschwor schon die Gefahr eines Bürgerkriegs herauf.

Auch die wichtigste Oppositionspartei, die Kommunisten (PCRM), rufen zum Boykott der Abstimmung auf. Ihrer Meinung nach darf eine Volksbefragung lediglich konsultativen Charakter haben und nicht rechtsverbindlich sein.

Laut Verfassung muss das Parlament aufgelöst werden, wenn kein Präsident gewählt werden kann. Wird nach Neuwahlen wieder kein Staatsoberhaupt bestimmt, kann das Parlament erst nach 12 Monaten erneut aufgelöst werden. Dieser Fall ist 2009 eingetreten. Folglich, so die Kommunisten, sei das Mandat der Kammer am 16. Juni 2010 abgelaufen, das derzeitige Parlament also illegitim. Der frühere Staatschef und Chef der PCRM, Wladimir Woronin, kündigte unlängst Massenproteste an, um die Auflösung des Parlaments zu erzwingen.

Ob, wie von der Regierung angekündigt, nach einem erfolgreichen Referendum im Herbst tatsächlich zeitgleich Präsidenten- und Parlamentswahlen abgehalten werden, ist fraglich. Denn die Stimmung in dem ärmsten Land Europas ist schlecht. Obwohl internationale Finanzorganisationen wie der IWF, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie die Weltbank in den vergangenen zwei Jahren rund 113 Millionen US-Dollar an Krediten, Hilfsgeldern und Investitionen in die Republik gepumpt haben, ist die wirtschaftliche Lage nach wie vor prekär. 2009 betrug die Produktion nur 77,8 Prozent der Vorjahresproduktion. Die Mindestlöhne liegen – je nach Branche – zwischen 40 und 80 Euro monatlich. Ein Großteil der Familien ist auf die Unterstützung von Verwandten angewiesen, die legal oder illegal im Ausland arbeiten.

Doch nicht nur der tägliche Existenzkampf steigert die Unzufriedenheit der meisten Moldauer mit ihrer Regierung. Derzeit werden sie Zeuge, wie sich die Vertreter der Koalition im Hinblick auf die Präsidentenwahlen zu streiten beginnen. Galt bislang noch der schon zweimal als Präsidentschaftskandidat gescheiterte Chef der Demokratischen Partei Moldaus (PDM), Marian Lupu, als Kandidat der Allianz, meldete jetzt auch Regierungschef Vlad Filat (Liberaldemokratische Partei, RDCM) seinen Anspruch an. Die Republik brauche einen Präsidenten, der aus einem politischen Wettbewerb hervorgehe und nicht einen aus dem Labor, sagte Filat und spielte darauf an, dass Lupu nur ein Kompromisskandidat der rechtsliberalen Koalition gewesen sei.

Derlei Auseinandersetzungen könnten den Boykottbefürwortern in die Hände spielen. Zwar wurde das Quorum der Wahlbeteiligung, die für die Gültigkeit eines Referendums notwendig ist, von 60 Prozent der Abstimmungsberechtigten auf ein Drittel abgesenkt, doch das sind immer noch rund 880.000 Wähler und Wählerinnen.