„Das letzte Wort hatte er“

JUSTIZ Im Stuttgarter Kriegsverbrecherprozess gegen Führer der ruandischen Hutu-Miliz FDLR packt der ehemalige FDLR-Militärchef aus und belastet den Angeklagten schwer

„Ich kann nicht weggehen, ohne das hier zu erzählen“

RWARAKABIJE, EX-FDLR-MILITÄRCHEF

VON BIANCA SCHMOLZE
UND DOMINIC JOHNSON

STUTTGART/BERLIN taz | Paul Rwarakabije ist ein kleiner, zierlicher Mann, der viel lächelt. Wenn ihn am Oberlandesgericht Stuttgart die Richter, Bundesanwälte und Verteidiger im Kriegsverbrecherprozess gegen zwei ruandische Milizenführer befragen, reagiert der Mann im beigen Anzug höflich, antwortet schnell, ruhig und freundlich. Körpersprache und Mimik wirken kontrolliert.

Kein Wunder: Rwarakabije ist Soldat. Bis 2003 war er Militärchef der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Verteidigung Ruandas), deren Präsident und Vizepräsident, Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, seit Mai in Stuttgart vor Gericht stehen. Rwarakabije, heute Leiter von Ruandas Gefängnisbehörde, ist als Zeuge eingeflogen worden, um gegen seinen ehemaligen Chef auszusagen. Mit seinem Auftritt am Montag und Mittwoch dieser Woche trat das Verfahren, das in den letzten Monaten eher dahinplätscherte, in eine neue, brisantere Phase ein: Einstige Mitkämpfer der Angeklagten haben das Wort.

Obwohl Murwanashyaka in Deutschland lebte, stellt Rwarakabije klar, war er als FDLR-Präsident auch für militärische Angelegenheiten im Kongo zuständig. Murwanashyaka habe militärische „Leitlinien“ entwickelt, und nach militärischen Aktionen „haben wir ihm Berichte gegeben“, erinnert sich Rwarakabije. „Murwanashyaka gab Feedback, damit wir wussten, was wir machen sollten“, führt er aus. „Das letzte Wort hatte er.“ Den Blickkontakt mit Murwanashyaka auf der Anklagebank vermeidet er.

Rwarakabijes Aussage stützt den Anklagevorwurf, wonach Murwanashyaka und Musoni Verantwortung für eine Reihe von Angriffen der FDLR gegen kongolesische Zivilisten im Jahr 2009 tragen. Der größte davon ist der auf das Dorf Busurungi, bei dem laut Anklage in der Nacht zum 10. Mai 2009 FDLR-Milizionäre mindestens 96 Zivilisten „erschossen, erstachen, erschlugen oder zerhackten“. Danach, so der Anklagesatz, erstattete ein Kommandeur „dem Angeschuldigten Bericht“.

Von Busurungi erfuhr Rwarakabije durch FDLR-Überläufer, die aus dem Kongo nach Ruanda zurückgekehrt waren – er will dem Senat eine Liste seiner Informanten erstellen, damit diese als Zeugen geladen werden können. Sie hätten berichtet, dass der Befehl von Verantwortlichen gekommen sei. „Murwanashyaka und andere Verantwortliche können erzählen, wie es war, damit diese Sachen ans Licht kommen und die Täter bestraft werden“, sagt Rwarakabije. „Ich kann nicht weggehen, ohne das hier zu erzählen. Wenn diese Organisation so arbeitet, sollte es sie nicht mehr geben.“

Die FDLR entstand 2000 als Sammelbecken für ruandische Hutu-Soldaten, die nach dem von ihnen verübten Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 in den Kongo geflohen waren. Rwarakabije verließ die FDLR nach eigenen Angaben, als sie 2003 Pläne zu einer Großoffensive gegen Ruanda entwickelte. Rwarakabije lehnte diese ab. Er befahl sogar den Stopp des Einmarschs, sagt er aus. Die FDLR habe ihn als Verräter bezeichnet; daraufhin habe er mit rund hundert Soldaten die Grenze überquert, in Absprache mit Ruandas Regierung. „Es gibt Sachen, die Sie nie erfahren werden“, wehrt der Ruander tiefer gehende Fragen ab.

Die Anwälte wollen noch viel mehr fragen. Rwarakabije war ursprünglich nur für einen Tag geladen. Es wurden zwei. Am Ende des zweiten Tages hat die Befragung durch die Verteidigung gerade erst begonnen. Je länger es dauert, desto genervter wird die Stimmung im Saal. Der Vorsitzende Richter Hettich fragt Rwarakabije, ob er noch könne. „Bitte helfen Sie mir, damit ich zurückfliege“, antwortet er und kündigt an, er komme wieder.

Die Befragung wird beendet. Wichtige Fragen sind beantwortet. Andere bleiben offen. Viele weitere ehemalige FDLR-Kämpfer sollen noch aussagen. Es dürften lange Tage werden.

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