Kälte in Polen: Janusz und Monika müssen zittern

In Osteuropa wurden seit Beginn der Kältewelle vor einer Woche mindestens 87 Kältetote registriert. Obdachlose in Warschau haben es besonders schwer.

Heiße Suppe für Obdachlose in Warschau. Bild: reuters

WARSCHAU taz | Am Dmowski-Rondo in Warschau strahlt rotglühende Kohle in einem Eisenkorb Hitze ab. Dick eingemummte Menschen stehen um den qualmenden Korb und strecken die Hände zum Wärmen hin. Manche müssen bei minus 17 Grad bis zu einer halben Stunde auf den Bus warten. Die Augen tränen vom Qualm, aber immerhin erfriert niemand.

Polens Obdachlose hingegen schaffen es oft nicht mehr in die Notunterkünfte. Die klirrende Kälte kostete im Januar 27 Menschen das Leben. Polizisten durchstreifen leerstehende Häuser, kleine Datschen am Stadtrand und ausrangierte Züge. Sie haben warmes Essen dabei und bieten den Obdachlosen an, sie in eine Unterkunft zu bringen.

Der kleine Olek steht mit weit aufgerissenen Augen an der Haustür. Die Nase läuft. Mit dem Ärmel wischt er den Schleim weg, dreht sich um und rennt ins Haus. Drinnen riecht es nach Kohlsuppe. Kinder schreien, lachen, rennen die Treppen rauf und runter. Erwachsene reden lautstark durcheinander. Es herrscht ein Höllenlärm.

Die Zahl der Toten durch die extreme Kältewelle in Europa steigt weiter. In Osteuropa wurden seit Beginn der Kältewelle vor einer Woche mindestens 87 Kältetote registriert, 29 davon allein in den 24 Stunden bis Mittwoch früh. Seit Dienstag gab es in der Ukraine nach Angaben des Katastrophenschutzes 13 weitere Kältetote, die Zahl der Opfer seit dem vergangenen Donnerstag stieg damit auf 43. In Rumänien gab es 14 Tote.

Das kalte Wetter ist auch in der Türkei und bis nach Nordafrika spürbar. So wurden Schneefälle in Teilen der algerischen Saharawüste gemeldet. (afp)

Hier, im Haus an der uliza Przyce 17, leben obdachlose Familien, zurzeit 25 Erwachsene und 19 Kinder. Die Gegend, eine altes Gewerbegebiet, ist wenig attraktiv. Die Müllcontainer vor dem Haus wurden schon länger nicht mehr geleert. Auch der grüne Bürodrehstuhl im Schnee wirkt nicht gerade einladend.

"Immerhin nehmen sie uns nicht die Kinder weg"

"Die Hilfe, die wir hier bekommen, ist nicht übermäßig groß", beklagt sich der 36-jährige Janusz. "Wir haben ein Dach über dem Kopf, wir erfrieren nicht, und wir bekommen täglich mittags und abends einen Teller Suppe." Dafür zahle er im Monat 500 Zloty (knapp 120 Euro). Seine hochschwangere Frau Monika wirft ein: "Immerhin nehmen sie uns nicht die Kinder weg. Bei den staatlichen Obdachlosenheimen finden nur Erwachsene Unterschlupf. Wir aber wurden mit unseren drei Kindern auf die Straße geworfen."

Armut stellt für viele Sozialämter in Polen einen Grund dar, Familien auseinanderzureißen und die Kinder in fremde Obhut zu geben oder in ein Heim zu stecken. "Gott sei Dank habe ich Arbeit", sagt Janusz. "Aber es reicht nur für das Allernötigste. Eine richtige Wohnung können wir uns nicht leisten." Monika öffnet zwei kleine Schränke, voll mit Konserven und Lebensmitteln. "Das bekommen wir von den Supermärkten. Das Haltbarkeitsdatum ist abgelaufen. Aber das kann man noch essen."

So wie Janusz und Monika geht es immer mehr Menschen in Polen. Sie verlieren die Arbeit, können Miete, Wasser und Strom nicht mehr bezahlen und landen auf der Straße. Die Zahl der Obdachlosen wird auf über eine halbe Million geschätzt. Im Winter steigt die Zahl, da bei der Eiseskälte nichts gebaut werden kann und viele Maurer, Schweißer, Straßenbauer Zwangsurlaub haben. Arbeitslosenhilfe wird nur einige Monate gezahlt, danach versiegen die staatlichen Hilfszahlungen fast vollständig. Sozialwohnungen gibt es zu wenige.

"9-8-7"

An der ul. Przyce fürchten die Einwohner, dass sie nun auch noch aus diesem Haus vertrieben werden. Denn das von der privaten Tarkowski-Stiftung getragene Obdachlosenasyl für Familien steht mit 250.000 Zloty (umgerechnet knapp 60.000 Euro) in der Kreide. Gas, Strom und Müllabfuhr wurden schon seit Jahren nicht mehr bezahlt. Nun soll das Haus geräumt werden.

Die Familien sitzen angsterfüllt in ihren Zimmern. Die Ordnung in den engen und überfüllten Zimmern wirkt unnatürlich penibel, so als würden die Bewohner auf das plötzliche Erscheinen eines Inspektors warten, der sie bei einem Staubkörnchen zu viel in die Eiseskälte hinaustreiben könnte.

Im Fernseher verließt eine Nachrichtensprecherin die neuesten Todeszahlen dieses Winters: Zwei Achtzehnjährige sind beim Schlittschuhlaufen auf einem zugefrorenen See eingebrochen und nicht wieder aufgetaucht. Eine Greisin, die im Wald Holz holen wollte, erfror auf dem Heimweg. Ein Betrunkener schlief an einer Bushaltestelle ein und erfror innerhalb von Stunden. Im letzten Jahr gab es in Polen 200 Kältetote.

Ein Polizeisprecher gibt die Kältenotrufnummer bekannt. Der dreijährige Olek klettert auf den Schoß seiner Mutter und wiederholt monoton die Nummer: "9-8-7".

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