LESERINNENBRIEFE
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Schutz vor Verstümmelung

■ betr.: „Beschneidung: Urteil zu Körperverletzung regt auf“,taz vom 28. 6. 12

Auch Hexenverbrennungen und Verfolgung Andersgläubiger/Nichtgläubiger haben eine jahrtausendealte Tradition. Wer erwachsen ist, kann seinen Körper verstümmeln, wie er möchte, bis dahin muss er von der Gesellschaft geschützt werden.

JÖRG NAWROCKI, Volkertshausen

Körperliche Unversehrtheit

■ betr.: „Keine religiöse Beschneidung“, taz vom 27. 6. 12

Das überraschende Urteil des Kölner Landgerichts ist wegweisend und markiert einen juristischen Paradigmawechsel mit weitreichenden Folgen. Wegweisend ist zum einen die juristische Anerkennung, dass es sich bei der Genitalbeschneidung von Jungen um eine Körperverletzung handelt, die das Menschenrecht der Jungen auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Zum anderen ist es bedeutsam, dass diese körperliche Unversehrtheit höher wiegt als das Erziehungsrecht der Eltern und deren Grundrecht auf Religionsfreiheit.

In Europa, wo männliche Beschneidungen überwiegend aus religiösen Gründen durchgeführt werden, ist die Entfernung der Vorhaut Gegenstand im geschlechterpolitischen Diskurs. Es wird dabei zunehmend auf die prinzipielle Vergleichbarkeit von männlicher und weiblicher Genitalbeschneidung verwiesen und die Bagatellisierung der männlichen Beschneidung kritisiert. Auch wenn es graduelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern geben mag, handelt es sich den Kritikern zufolge bei genitalen Beschneidungen immer um eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit, die dazu dient, die soziokulturelle Konstruktion der Geschlechterrollen physisch festzuschreiben und unumkehrbar zu machen.

Die Kritik an der religiösen Beschneidung stellte sich mit dem Hinweis auf die Religionsfreiheit als schwierig dar. Genau auf diesen Punkt zielt nun das Urteil des Kölner Landgerichts. Es leugnet, dass die Erfüllung religiös-kultureller Pflichten dem Kindeswohl entspräche, und hält das Abwarten bis zur Zustimmungsfähigkeit des Kindes für zumutbar. Das Individualrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit wird höher gewertet als die von beschneidungswilligen Eltern befürchtete mögliche Ausgrenzung aus dem religiös-kulturellen Kollektiv. Ein guter Tag für das Selbstbestimmungsrecht der Menschen. VOLKER HANDKE, Berlin

Menschenrechte sind Kinderrechte

■ betr.: „Keine religiöse Beschneidung“, taz vom 27. 6. 12

Die Allianz von Muslimen, Juden und Christen in der Abwehrhaltung gegen das Urteil des Kölner Landgerichtes bezüglich der Beschneidung aus religiösen Gründen zeigt deutlich, dass es in der Debatte gar nicht um Glauben geht. Es ist nicht die Religionsfreiheit, die durch die Richter eingeschränkt worden ist. Es sind die Menschenrechte der Kinder, die durch den Spruch gestärkt wurden. Unabhängig von der Religion. Es heißt in unserem Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – nicht „Die Würde der Erwachsenen ist unantastbar“. Die Diskussionskultur der Kritiker an diesem Urteilsspruch zeigt deutlich, dass viele Mitglieder unserer Gesellschaft – religionsübergreifend – Kinder als Eigentum ihrer Eltern ansehen. Nur deshalb kann es überhaupt eine Interpretation von Erziehungsrecht geben, welche hier zu einem Konflikt führt. Jeder Mensch in unserer Gesellschaft muss das Recht darauf haben, dass seine körperliche und emotionale Unversehrtheit nicht durch andere Mitglieder unserer Gesellschaft gegen seinen Willen beeinträchtigt wird. Wer diesen Satz versteht und mit ihm einverstanden ist, kann unmöglich diesem Richterspruch widersprechen wollen.

Dass der Spruch von Beschneidungsgegnern dennoch als „mutig“ bezeichnet wird, ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Mut ist die Überwindung von Angst. Niemand sollte Angst haben müssen, wenn er Kindern uneingeschränkte Menschenrechte zuspricht! BEREND SEMKE, Braunschweig