Roma unter Generalverdacht

IRLAND Polizei nimmt zwei Familien vorübergehend ihre Kinder weg, bloß weil diese blond sind. DNA-Tests bestätigen die Elternschaft

Zu vielen Bars, Restaurants oder Supermärkten haben Travellers keinen Zutritt

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Zigeuner sind schwarzhaarig und glutäugig. Eine siebenjährige Blondine mit blauen Augen passt nicht in das Bild, das man sich in Irland von Sinti und Roma macht. Nachdem im irischen Fernsehen ein Bericht über die kleine Maria lief, die in Griechenland bei einer Roma-Familie lebte, mit der sie nicht verwandt ist, informierte eine Bürgerin am Montag einen TV-Sender über einen vermeintlich ähnlichen Fall in Dublin. Der Sender schickte einen Reporter, und der schaltete die Polizei ein. Die Beamten überprüften die Sache.

In der Geburtsurkunde stand, dass das Mädchen im Dubliner Coombe-Krankenhaus zur Welt gekommen sei. Dort fand man keinen Eintrag über die Geburt. Da das Passfoto schon ein paar Jahre alt war, nahmen die Polizisten das Mädchen mit und übergaben es dem Gesundheitsamt.

Am Dienstag wurde die Polizei in Athlone im Zentrum Irlands erneut fündig. Ein Zweijähriger, dessen Aussehen ebenfalls für Roma untypisch ist, wurde den Eltern weggenommen. Am Mittwoch waren beide Kinder wieder bei ihren Eltern: DNS-Tests hatten ergeben, dass es sich bei den mutmaßlichen Kindsräubern um die leiblichen Eltern handelt. Der irische EU-Abgeordnete von der sozialistischen Partei, Paul Murphy, forderte am Donnerstag eine öffentliche Untersuchung der Fälle.

Bei dem griechischen Mädchen liegt der Fall anders. Die Roma-Familie behauptet, dass die Mutter ihr das Mädchen freiwillig übergeben habe, weil sie sich nicht darum kümmern konnte.

Das war auch in Irland üblich, schreibt Timothy Neat in seinem Buch „The Summer Walkers“. Es war die einfachste Lösung in einem erzkatholischen Land, wenn eine Unverheiratete schwanger wurde. „Im Laufe der Zeit wurde aufgrund von Schuldgefühlen aus dem Geben ein Nehmen und aus einer Übereinkunft ein Diebstahl“, schreibt Neat. Das hat sich offenbar auch bei der irischen Polizei festgesetzt. Martin Collins von der Organisation Pavee Point, die sich für Sinti und Roma sowie für die irischen Fahrenden einsetzt, sagte: „Hoffentlich ist das nicht der Auftakt einer endlosen Serie von DNS-Tests an Roma-Kindern, die keine dunkle Hautfarbe und keine braunen Augen haben.“ Collins kämpft seit Jahrzehnten gegen die Diskriminierung der „Travellers“, wie sich die irischen Fahrenden nennen.

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren sie integraler Bestandteil des wirtschaftlichen Gefüges und zogen als Kesselflicker, Weber, Pferdehändler und Musiker durch das Land. Mit der Einführung landwirtschaftlicher Maschinen und Fertigtextilien waren ihre Dienste nicht mehr gefragt. Sie wichen in die Städte aus. Dort konkurrierten sie jedoch mit den Sesshaften, die sich mit Diskriminierung wehrten.

Zu vielen Kneipen, Restaurants oder Supermärkten haben Travellers keinen Zutritt. Die rumänische Roma-Familie des blonden Mädchens berichtet ebenfalls von Übergriffen. Nachdem Jugendliche wiederholt ihr Haus im Dubliner Vorort Tallaght mit Wurfgeschossen angegriffen hatten, installierten die Eltern Kameras und sicherten die Fenster mit Plexiglas. Sie vergaßen aber, ihrer Tochter die Haare zu färben.

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