Rousseff bleibt Präsidentin

BRASILIEN Mit 51,6 Prozent gewinnt die Amtsinhaberin die Stichwahl. Der Wahlkampf hat das Land gespalten, und auch das Ergebnis zeigt Riesenunterschiede zwischen Arm und Reich

Rousseff braucht neue Allianzen – und will einen „konstruktiven Dialog aller Kräfte“

AUS RIO DE JANEIRO ANDREAS BEHN

Knapp, aber es reicht. Den feiernden Anhängern der Arbeiterpartei PT ist die Erleichterung anzusehen. Rote Fahnen werden geschwenkt und innige Umarmungen ausgetauscht. An vielen Orten Brasiliens entlud sich die angestaute Spannung in spontanen Feiern und Freudenfesten. Die Anhänger der Opposition sind fassungslos, viele haben Tränen in den Augen. Es war das knappste Wahlergebnis und die am stärksten umkämpfte Stichwahl um das höchste Amt im Staate seit Langem. Und zudem ein äußerst aggressiv geführter Wahlkampf, der das Land an den Rand einer Spaltung gebracht hat.

Mit 51,6 Prozent der Stimmen ist Dilma Rousseff im Präsidentenamt bestätigt worden. Weitere vier Jahre Mandat für die gemäßigt linke PT, die seit zwölf Jahren an der Macht ist. Herausforderer Aécio Neves von der rechtsliberalen PSDB kam bei der Wahl am Sonntag auf 48,4 Prozent.

Viele soziale Bewegungen und Teile der PT-Basis hatten Rousseff schon vor Langem den Rücken gekehrt. Zu groß war die Kritik an ihrer Wachstumspolitik, die sich weder für die Umweltzerstörung noch für die Vertreibung von Indígenas interessierte. Doch die Aussicht auf eine PSDB-Regierung veränderte die Stimmungslage. Viele alte und neue Aktivisten machten auf einmal Wahlkampf für die PT.

Das Ergebnis entspricht den letzten Umfragen, denen allerdings kaum jemand noch glaubte: Noch Wochen vor dem ersten Wahlgang Anfang Oktober sagten die Institute einen Sieg der ehemaligen Umweltministerin Marina Silva voraus, die schließlich nur den dritten Platz belegte. Ihren Stimmanteil von 21 Prozent wollten sie und ihre Partei PSB mit einer Unterstützungserklärung an den konservativen Neves weitergeben – das ist missglückt.

Denn zahlreiche Wähler von Silva haben deren konsequente Rechtswende nicht mitvollzogen. Das zeigt vor allem das Ergebnis im Bundesstaat Pernambuco, der Hochburg von Exgouverneur Eduardo Campos, der als PSB-Kandidat im August tödlich verunglückte und so erst die Kandidatur von Silva ermöglichte. Hatte Marina Silva dort im ersten Wahlgang noch 48 Prozent der Stimmen geholt, gewann in Pernambuco jetzt Dilma Rousseff mit über 70 Prozent. Statt ins rechte Lager zu wechseln, haben die Menschen dort doch lieber die PT gewählt.

Das Ergebnis von Pernambuco zeigt auch, dass Brasilien gespalten ist. Im gesamten Nordosten, der von Armut geprägt ist und in dem die Sozialprogramme der Regierung besonders wichtig sind, gewann Rousseff rund zwei Drittel aller Stimmen. Auch in den ärmeren Amazonasstaaten lag sie klar vorne. Im reicheren Süden dagegen, in den Agrarstaaten im Westen und vor allem im Industriestaat São Paulo gewann Neves die mit Abstand meisten Stimmen. Diese Spaltung entspricht auch den Diskursen der beiden Kandidaten: soziale Programme, starker Staat und nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik bei Rousseff; mehr Unternehmensnähe und liberale Wirtschaftsausrichtung bei Neves.

„Das Land ist nicht gespalten“, beteuerte Rousseff dennoch in ihrer ersten Ansprache nach der Wahl. Notwendig sei jetzt ein „konstruktiver Dialog aller Kräfte, um die Probleme Brasiliens schnell zu lösen“. Dialog und Einheit hätten oberste Priorität für ihre Regierung. Rousseff schlägt die neuen Töne sehr bewusst an. Sie muss neue Allianzen bilden, um regierungsfähig zu bleiben. Und die rechte Opposition hat zwar zum vierten Mal in Folge eine Präsidentschaftswahl verloren, konnte ihre Position im Parlament jedoch ausbauen.

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