School-Talks: Problemkiez-Kids sollen Vorbildern nacheifern

Weddinger mit Migrationshintergrund, die es "geschafft" haben, erzählen es bei den "School Talks" den Schülern an der Ernst-Reuter-Schule.

"Und jetzt: die Beathoavenz!" der Veranstalter Prime Lee macht eine weit ausholende Geste wie ein Showmaster und bittet die Stars nach vorne. Die Schüler im Saal johlen und klatschen, als die beiden Musikproduzenten in Lederjacken aufs Podium steigen und in die Runde grinsen.

Rund drei Viertel der Schüler an der Ernst-Reuter-Oberschule im Wedding kommen aus Migrantenfamilien. Für gerade einmal 4 Prozent folgt auf den Schulabschluss eine Ausbildung, so das Stadteilmanagement Brunnenviertel/Ackerstraße.

Was die anderen nach der Schule machen? Weiß der Himmel. Dementsprechend schwierig ist es für Lehrer zu vermitteln, wozu Schule gut ist. Mit den "School Talks" will das Stadtteilmanagement, das Weddinger Äquivalent zum Quartiersmanagement, zeigen: Es gibt Leute, die saßen im gleichen Dreck und haben es geschafft. Breakdancer, Kinderärztinnen und Fotomodels werden die ganze Woche über Vorträge halten - alle Migranten, alle aus dem Wedding.

Prime Lee, der Veranstalter, weiß, wovon er spricht. Er stammt aus einer laotischen Flüchtlingsfamilie und ist selbst im Wedding aufgewachsen. Der frühere Sprayer und Rapper arbeitet heute als Architekt. "Wir hatten hier alle so große Träume. Einige von uns haben sie verwirklicht, andere nicht." Die einen, wie die "Beathoavenz", schaffen es in die Charts, die anderen hat man, so Lee, "tot auf der Straße" gefunden. Wann trennen sich die Wege und warum? "Man braucht Vorbilder", glaubt Lee.

Die coolen Jungs sitzen heute in der ersten Reihe. DJ Smolface alias Thomas Schmidt erzählt von seiner Ausbildung: "Ich hab Zimmermann gelernt, das war super. Und es gab Geld, das war ein Hammergefühl. Davon hab ich mir dann mein ganzes Musikequipment gekauft." Der Moderator und seine Gäste handeln die typischen Pädagogenthemen ab. Drogen? Jetzt kommt Leben in die früheren harten Jungs, an denen sich die jetzige Jugend orientieren soll. "Klar, ich hab alles genommen. Bis ich mit einer LSD-Vergiftung im Krankenhaus lag."

Susan Rahem ist heute wegen des Promi-Faktors gekommen. Als Vorbild taugen die Beathoavenz für sie nicht. "Ach, da ist so viel Glück dabei", glaubt sie. Für die 17-jährige Kurdin wird es am nächsten Tag interessanter, sagt sie. Dann wird eine Ghanaerin erzählen, wie sie Kinderärztin wurde. Susan würde gern Psychologie studieren.

Abgesprochen ist auf dem Podium nichts: Der nächste Gast, Sammy Naja, Musikproduzent unter anderem von der Boygroup US5, sagt zum Thema Studium: "Wenn ihr keinen Traum habt, dann ist studieren schon okay. Aber die erfolgreichsten Menschen der Welt haben nicht studiert." Das kann Veranstalter Prime Lee natürlich nicht so stehen lassen und hängt noch ein paar pädagogisch wertvolle Sätze dran - Tenor: Studieren sei eigentlich schon ziemlich toll.

Trotzdem wirkt diese Episode nicht wie ein Ausrutscher: Bei dieser Veranstaltung geht es nicht um die Bilderbuchkarriere zum Nachmachen. "Mir ist wichtig, dass sie sehen: Man kann sein Leben in die Hand nehmen und es gestalten", sagt Lee. Wie DJ Perez, der, als er nach elf Jahren mit dem Marihuana-Rauchen aufhörte, monatelang mit seinem letzten Päckchen Gras diskutierte: "Ich bin stärker als du!"

Solche Botschaften kommen nur dann an, wenn sie von Menschen kommen, die man bewundern kann. Harald Schulze, Englischlehrer an der Ernst-Reuterschule, findet die School-Talk-Veranstaltungen gut: "So was muss mal jemand anderes sagen als immer nur die Lehrer." Er hofft, dass es mehr solcher Veranstaltungen geben wird. Aber eigentlich soll nach dieser Woche Schluss sein. Das Geld ist alle.

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