Gemeinschaftsschule: Gemeinschaft reizt die Eltern

Ihr Ruf ist so gut, dass er der ersten Pankower Gemeinschaftsschule nun zum Problem wird: Eltern wollen ihre Kinder als Quereinsteiger unterbringen. Die Verwaltung stöhnt.

So wollen viele Eltern ihre Kinder nicht mehr lernen sehen: Einsames Pauken am Gymnasium Bild: AP

Etwas ist anders an dieser Schule. Die Kinder, die zwischen den Räumen hin und her flitzen und in einem Flur gerade eine selbst gemachte Ausstellung über Dinosaurier aufbauen, sind so klein, dass man sich in einer Kita wähnen würde, hingen an den Garderobenhaken nicht, säuberlich aufgereiht, große, bunte Schulranzen. Die sind so neu, wie die Schule es ist: Im September 2008 öffnete die Wilhelm-von-Humboldt-Grundschule (WvH) als erste Gemeinschaftsschule in Pankow ihre Türen. Nun wächst sie bis zur 10. Klasse hoch.

Das erklärt die vielen kleinen SchülerInnen: Hier lernen bisher nur Erst- bis Drittklässler, kaum ein Kind ist älter als acht. Unterrichtet wird in jahrgangsübergreifenden Gruppen nach reformpädagogischen Prinzipien: Mit in übersichtliche Schritte eingeteilten "Streckenblättern" lernen die Kinder eigenständig oder in altersgemischten Gruppen. Haben sie einen Abschnitt durchgearbeitet, melden sie sich zu einer Kompetenzkontrolle an.

Gemeinschaftsschule: Seit 2008 wird dieser neue Schultyp in Berlin erprobt. Er führt von der ersten Klasse zum mittleren Schulabschluss oder gar zum Abitur, ohne dass Schüler in verschiedene Leistungsniveaus unterteilt werden.

Grundständiges Gymnasium: Üblicherweise wechseln Kinder nach 6 Grundschuljahren auf weiterführende Schulen. Die grundständigen Gymnasien beginnen jedoch schon ab der 5. Klasse.

Jahrgangsübergreifender Unterricht: Hierbei werden Kinder aus mehreren Altersstufen gemeinsam in einer Klasse unterrichtet. Dadurch können sie besser mit- und voneinander lernen.

So erlebe jedes Kind Lernerfolge, sagt Schulleiterin Gabriela Anders-Neufang: "Die Kinder sind stolz auf ihre Fortschritte, die Motivation ist hoch." Im Projektlernen bestimmen die SchülerInnen die Themen selbst: Fragen wie "Wie war es in Berlin mit einer Mauer?", "Wie entsteht Krieg?" oder "Warum sind Pferde so groß?" stehen als Ideensammlung an der Wand. Der Schultag besteht aus einer Mischung von Freizeit und Lernen, Sport und Bewegung spielen eine große Rolle. Noten wird es bis zur 8. Klasse nicht geben. Anstelle von Zeugnissen gibt es schriftliche "Kompetenzraster" sowie Gespräche mit Eltern und Kindern über Leistungen und Ziele.

Das Konzept gefällt. Die Schule hat dreimal so viele Bewerbungen wie Plätze. Deshalb richtet der Bezirk Pankow im Sommer bereits eine zweite Gemeinschaftsschule ein. Sie wird zunächst SiebtklässlerInnen aufnehmen, für Grundschüler sollen ab 2011 erste Klassen entstehen. Der Nachfrage in Pankow nach dieser Modellschule (siehe Kasten) wird das Angebot damit aber immer noch nicht gerecht.

Einige Eltern versuchen derzeit, ihre Kinder als "quereinsteigende" Fünftklässler an der Wilhelm-von-Humboldt-Schule unterzubringen. Etwa 30 entsprechende Anmeldungen lägen vor, heißt es in einem Schreiben der Gesamtelternvertretung (GEV) der WvH an die Senatsverwaltung für Bildung, "zahlreiche weitere Anfragen" seien bekannt.

"Wir wollen einfach die beste Schule für unser Kind", sagt etwa Bernhard Lubitz, der zu den BewerberInnen gehört. An der jetzigen Grundschule seiner Tochter würden mit der 5. Klasse Noten eingeführt: "Das wollen wir nicht." Zudem sei die frühere Klassenlehrerin seiner Tochter nun an der WvH. "Uns hat das Konzept der Gemeinschaftsschule überzeugt", sagt auch Annett Boysen, deren Sohn derzeit Viertklässler der Schule im Hasengrund ist. Die "nette Atmosphäre, das Miteinander, die tollen Projekte" hätten am Tag der offenen Tür ihren Sohn begeistert. Auch seine ehemalige Klassenlehrerin ist jetzt an der WvH.

Die Schule begrüßt die Idee eines Quereinstiegs: So könne eine Altersmischung auch in den jahrgangsübergreifenden Lerngruppen der Klassen 4 bis 6 erreicht werden, für die es ab Sommer sonst nur Viertklässler gäbe, sagt die Schulleiterin: "Das entspricht ja der Grundidee." Zudem könne die Schule so schneller hochwachsen.

Gerade das sieht die Pankower Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) mit gemischten Gefühlen: Sie habe "diese tolle Schule" von Anfang an gewollt und unterstützt, "und das werde ich auch weiterhin tun", so Zürn-Kasztantowicz. Doch ein schnelleres Hochwachsen sei nicht abgesichert. Das Geld für nötige Baumaßnahmen und die Ausstattung des neu bezogenen Gebäudes sei "schlicht nicht eingeplant", so die Stadträtin. Zudem dürfe ein Quereinstieg nicht nur "einem internen Zirkel von Eltern" offenstehen, die Beziehungen zur Schule hätten. "Wenn, dann müssten alle die Chance haben", so Zürn-Kasztantowicz. Das würde jedoch zu Problemen an Grundschulen führen: Da eine ganze Reihe von Gymnasien im Bezirk bereits mit Klasse 5 beginnen, hätten viele Grundschulen bereits jetzt viele Abgänge nach der 4. Klasse zu verzeichnen. "Wenn die Zahl noch steigt, gefährdet das die Altersmischung an den Grundschulen", fürchtet die Stadträtin.

Das bestätigt Eva Heitmann, Leiterin der Thomas-Mann-Grundschule, an der auch jahrgangsübergreifend unterrichtet wird. Sie ärgert sich deshalb über den Vorstoß der Gemeinschaftsschule: "Die wusste, in welchem Zeitraum sie hochwachsen sollte. Da muss man doch jetzt nicht so ein Tempo machen, dass an anderen Schulen das Lernkonzept zusammenbricht."

Die ElternsprecherInnen der Gemeinschaftsschule halten das nicht für stichhaltig. Viele der Eltern, die ihre Kinder zur 5. Klasse an der WvH angemeldet hätten, heißt es in ihrem Schreiben, erwögen alternativ den Wechsel an ein grundständiges Gymnasium, würden den Grundschulen also so oder so verloren gehen. Er sei zwar eigentlich kein Fan dieser Gymnasien, sagt Vater Bernhard Lubitz, aber viele der wechselwilligen Eltern an seiner Schule schauten sich schon Gymnasien an: "Und wenn die anderen gehen, überlegt man sich, ob das eigene Kind als einziges an der alten Schule bleiben soll."

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