Laizisten wurden abgewählt

WAHL Neue Mehrheiten bei Migranten: Nach der Wahl zum Integrationsbeirat haben muslimische Moscheevereine von Ditib und Milli Görüs an Einfluss gewonnen

■ Der Integrationsbeirat wurde 2003 von Rot-Rot ins Leben gerufen. Ihm gehören neben den Vertretern von Migranten die Senatorin für Integration sowie jeweils ein Staatssekretär jeder Senatsverwaltung an. Dazu kommen Abgeordnete gesellschaftlicher Gruppen wie Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, Wohlfahrtsverbänden und der Handwerks- und Handelskammern sowie des Rates der Bezirksbürgermeister und ein Vertreter der bezirklichen Integrationsbeauftragten. Sechs der sieben MigrantInnenvertreterInnen des Beirats werden stellvertretend für bestimmte Herkunftsregionen gewählt, ein Mitglied ohne regionale Zuteilung. Aufgabe des Gremiums ist es, den Senat in integrationspolitischen Fragen zu beraten. (akw)

VON ALKE WIERTH

Berlins Migranten sprechen künftig eine deutlich konservativere Sprache. Bei der Wahl zum Landesintegrationsbeirat ging ein Wahlbündnis von Muslimen vor allem türkischer Herkunft als Sieger hervor. Hingegen gelang nur einem der bisherigen Mitglieder die Wiederwahl. Der neue Beirat soll am 7. Juni seine Arbeit aufnehmen.

Die reguläre Neuwahl des 2003 ins Leben gerufenen Beirats, der den Senat in integrationspolitischen Fragen berät, hatte im Oktober vergangenen Jahres stattgefunden. Sie musste aber wiederholt werden, da ein Verein das Ergebnis angefochten hatte.

Etwa achtzig Migrantenorganisationen hatten an den Wahlen im Herbst teilgenommen. Bis zur Wahlwiederholung am Donnerstag ließen sich über fünfzig weitere Vereine in die Wahlliste eintragen, darunter viele Moscheevereine aus türkisch-muslimischen Dachorganisationen wie Ditib und Milli Görüs.

Deren Vertreter dominierten die Neuwahl im Willy-Brandt-Saal des Schöneberger Rathauses, an der 115 der knapp 160 wahlberechtigten Vereine teilnahmen. Zu den sieben MigrantenvertreterInnen gehören nun die Politikwissenschaftlerin Pinar Cetin, Vorstandsmitglied im Berliner Landesverband der türkisch-muslimischen Organisation Ditib, der Rechtsanwalt und Vorsitzende der Gemeinschaft muslimischer Juristen, Mustafa Özdemir, sowie der aus Kirgisien stammende Journalist Azamat Damar, der bei der religiös orientierten türkischen Tageszeitung Zaman arbeitet. Unter den gewählten StellvertreterInnen, die im Rat aktiv mitarbeiten dürfen, aber nicht stimmberechtigt sind, sind unter anderem ein Vertreter der Schule für islamische Geistliche in Karlshorst sowie einer aus der Gemeinde bosnischer Muslime.

Unter den bisherigen Mitgliedern des Beirates und ihren Unterstützervereinen sorgten die Wahlergebnisse für Überraschung und teils auch Bestürzung bei den bisherigen Mitgliedern des Beirats und ihren Unterstützervereinen. Sie gehörten mehrheitlich dem Dachverband Migrationsrat Berlin an und sind überwiegend laizistisch und progressiv orientiert. Offenbar hätten sich die muslimischen Vereine entschlossen, „aktiv anzutreten“, sagte Hamid Nowzari vom Verein iranischer Flüchtlinge, der dem Gremium seit seiner Gründung angehörte. Er bedauerte, dass unter den neuen Mitgliedern kaum jemand sei, den man aus integrationspolitischen Aktivitäten bereits kenne. Außerdem findet sich im neuen Integrationsbeirat kein Mitglied kurdischer Abstammung oder alevitischer Religionszugehörigkeit mehr.

Der letzte Beirat habe „ein realistischeres Bild der Berliner Bevölkerung“ wiedergegeben, sagte auch Serdar Yazar, Geschäftsführer des Türkischen Bundes Berlin (TBB). Man werde sich aber künftig nicht gegen den Integrationsbeirat stellen: „Die Wahl ist korrekt gelaufen“, so Yazar: „Wir würden uns freuen, wenn der neue Beirat konstruktiv arbeiten kann, und werden ihn an seinen Taten messen.“

Bündnisse habe es bei den Wahlen immer gegeben, meinte der Integrationsbeauftragte des Senats, Günter Piening. Nun hätten sich die Kräfte aber verschoben, das Bündnis um den Migrationsrat habe keine Mehrheit mehr. „Es wird spannend zu beobachten“, so Piening, „wie sich eine gemeinsame Linie in der neuen Zusammensetzung des Rates entwickeln wird.“ Dem gehören nun auch der aus Eritrea stammende Menschenrechts- und Antirassismusaktivist Yonas Endrias und erstmalig die schwarze Gender- und Rassismusforscherin Natasha Kelly als Vertreterin für die Region Europäische Union an.

Endrias, seit 2005 im Integrationsrat und als einziges Altmitglied wiedergewählt, hatte die Dominanz mancher Gruppen im Beirat schon früher kritisiert (taz berichtete). Die neue Zusammensetzung beurteilt er positiv: Es seien „vernünftige und hoch gebildete Menschen“ gewählt worden.

Er freue sich zudem, „dass die ewige Dominanz einer einzigen Organisation gebrochen ist“. Der TBB habe „viel zu lang das integrationspolitische Monopol in dieser Stadt“ innegehabt, so Endrias: Der Integrationsbeirat habe damit „bisher wie eine Regierungsabteilung gearbeitet und den Senat nicht kritisiert.“ Für die Schwarzen, „die Minderheit unter den Minderheiten“, so Endrias, sei die Wahl gut ausgegangen: „Europa hat nun ein schwarzes Gesicht. Das ist gut so.“