Günstiges Wohnen ist Geschichte

MIETEN Im Abgeordnetenhaus diskutieren Vereine, Stadtteilzentren und Politiker über Wohnraum in Berlin

Bis zum Jahr 2030 erwartet der Senat zusätzliche 250.000 Bewohner

„Es gibt nicht genug bezahlbaren Wohnraum für Hartz-IV-Empfänger“, klagte Bahar Sanli vom Nachbarschaftshaus Urbanstraße am Mittwoch im Abgeordnetenhaus. Rund 200 Menschen kamen dort zu der Konferenz über sozialen Wohnungsbau zusammen, die zwei Mietergruppen organisierten. Teilnehmer waren unter anderem der Soziologe Andrej Holm, verschiedene Vereine, Stadtteilzentren und Abgeordnete.

„30.000 Haushalte sind vom Jobcenter im vergangenen Jahr aufgefordert worden, ihre Mietkosten zu senken“, sagte Sigmar Gude vom Topos-Institut für Stadtforschung. Nur 1.800 von ihnen hätten eine günstigere Wohnung gefunden. „Aber was ist mit den anderen?“, fragte Gude. Die müssten den Teil der Miete, der über den Vorgaben des Jobcenters liegt, selbst bezahlen. Von dem Geld, das eigentlich dafür vorgesehen ist, den Grundbedarf an Ernährung, Kleidung, Bildung und Mobilität zu decken. „Das ist der Skandal“, sagte Gude.

Die steigenden Mieten entstehen, erklärte Staatssekretär Ephraim Gothe (SPD), weil die Bevölkerung in Berlin wächst. Bis 2030 erwarte man zusätzliche 250.000 Bewohner. Zudem steigen die Ansprüche: Während sich im Jahr 1990 jede Person noch mit durchschnittlich 30 Quadratmetern zufrieden gab, sind es laut Gothe jetzt 39 Quadratmeter. Die Nachfrage steigt also – und dadurch auch der Preis. Gothe forderte „einen neuen sozialen Wohnungsbau“ und mehr Akzeptanz für Neubauten, die bei Nachbarn oft auf Ablehnung stießen. „Wenn die Innenstadt voll ist“, fragte er, „wie kann man dann die Gebiete außerhalb attraktiver machen?“

Birgit zur Nieden, die an der Humboldt-Universität Migrationsdiskurse erforscht, wies darauf hin, dass Hartz IV beziehende Migranten bei der Wohnungssuche oft von rassistischer Diskriminierung durch Vermieter betroffen seien. Sie erinnerte an die Siebzigerjahre: Damals habe es für Migranten teilweise Vorgaben gegeben, in welchen Bezirken sie wohnen durften und in welchen nicht. Kreuzberg sei damals ein „Getto mit schlechtem Ruf“ gewesen. Die Migranten hätten aus dem Bezirk inzwischen einen attraktiven Stadtteil gemacht. Diese „historische Leistung“ müsse stärker gewürdigt werden. SEBASTIAN HEISER