Hochprozentige Kandidaten für die Grünen

PARTEITAG Die am Samstag wiedergewählten Landeschefs Bettina Jarasch und Daniel Wesener sind die erfolgreichsten, die die Grünen je hatten. Nach der enttäuschenden Renate-Show von 2011 liegt es nahe, mit ihnen an der Spitze in die Abgeordnetenhauswahl zu ziehen

■ Die Berliner Grünen rüsten sich für die Bundestagswahl: Mit einem gestärkten Vorstandsduo und Anträgen zum Wahlprogramm nahmen sie Kurs auf ihr Ziel einer rot-grünen Bundesregierung. Die beiden Grünen-Vorsitzenden Bettina Jarasch und Daniel Wesener wurden bei einem Parteitag am Samstag mit jeweils rund 95 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.

■ Mit zwei Änderungsanträgen wollen die Berliner Einfluss auf das grüne Wahlprogramm zur Bundestagswahl nehmen. In dem einen Antrag schlagen sie neue Arbeitszeitmodelle vor, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. So soll mehr Teilzeitarbeit auch für Führungskräfte zu existenzsichernden Löhnen ermöglicht werden. Ferner fordern sie, den Kampf gegen steigende Mieten zu einem Schwerpunkt im Wahlprogramm zu machen. (dpa)

VON STEFAN ALBERTI

Rekordergebnis mit rund 95 Prozent. Rekordlob als „Dream Team“. Rekordmitgliederzahl mit 5.500. Nach der Wiederwahl des Vorstandsduos Bettina Jarasch und Daniel Wesener am Sonnabend kommen die Grünen an einer Frage nicht mehr vorbei: Warum nicht mit den beiden derart populären und erfolgreichen Landesvorsitzenden an der Spitze in die nächste Abgeordnetenhauswahl gehen?

Laut den vorliegenden, bis in die 90er Jahre zurückreichenden Zahlen hatte noch nie ein Vorstandsduo derart großen Rückhalt. Das ist auch den beiden Vorsitzenden bewusst. „Wir haben der Partei in den vergangenen beiden Jahren Gesicht und Stimme gegeben“, hatte Jarasch bereits in ihrer Bewerbung selbstbewusst geschrieben. Widerspruch dazu gab es beim Parteitag nicht, stattdessen realsozialistisch anmutende Wahlergebnisse: 94,5 Prozent erhielt Jarasch, 95,4 Prozent Wesener. Wieso also nicht diese Gesichter auf die Wahlplakate drucken?

Die Erfolgsgeschichte der beiden war nicht unbedingt absehbar. Jaraschs Bewerbung 2011 wurde von den Kreuzberger Grünen, wo die heute 44-Jährige zu Hause ist, skeptisch aufgenommen, eine Gegenkandidatur bahnte sich an. Wesener wiederum war den Realos der Partei verdächtig gewesen als jemand, der sich mit dem früheren Fraktionschef Volker Ratzmann in der Frage des Umgangs mit der CDU fetzte. Eher durchschnittlich fiel ihr Wahlergebnis vor zwei Jahren aus: Rund 83 Prozent erhielt Jarasch, Wesener 76 Prozent. Dann erlebten die Berliner Grünen mit ihnen auch noch ihre größte Niederlage: Bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 erzielte die Partei zwar ihr bislang bestes Ergebnis, blieb aber weit hinter früheren Umfragen zurück. Doch das ist nicht den Parteichefs anzulasten: Das Wahlprogramm stand bereits, die Spitzenkandidatin war gewählt, als Jarasch und Wesener ins Amt kamen.

Die Erfahrung von 2011 zeigt vielmehr, dass ein sehr prominentes Gesicht auf dem Spitzenplatz nicht unbedingt bessere Chancen garantiert. Renate Künast als bekannteste Berliner Grüne, dazu Umfrageergebnisse von 30 Prozent – den Grünen schien der Wahlsieg nicht zu nehmen, als die einstige Bundesministerin zehn Monate vor der Wahl ihre Kandidatur offiziell bekannt gab. Doch Künast und ihr Programm wurden nicht von der gesamten Partei getragen, trotz augenscheinlich großer Unterstützung bei ihrer Nominierung als Herausforderin des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD). Das Wahlprogramm, so lautete später die Kritik, ignorierte viel Sachkenntnis der Landesarbeitsgemeinschaften und der Aktiven vor Ort. Des Öfteren war zu hören, man fühle sich nicht mitgenommen, Künast mache ihr Ding. Fast allein auf sie als Person zu setzen – etwa mit den vielen „Renate“-Plakaten – statt Inhalte in den Vordergrund zu rücken, sei ein Fehler.

Und was die Prominenz angeht: Künast war zwar vielen aus Fernsehen und Zeitung bekannt als kämpferische Fraktionschefin im Bundestag. Im Wahlkampf aber drängte sich der Eindruck auf, dass die Grünen umso stärker verloren, je öfter die Berlinerinnen und Berliner der Landespolitikerin Künast begegneten.

In der jüngsten Umfrage stehen die Grünen inzwischen wieder bei 24 Prozent, genau wie die SPD

Jarasch und Wesener wären der komplette Gegenentwurf. In der Öffentlichkeit sind sie weitgehend unbekannt, vor allem wegen fehlender Auftrittsmöglichkeiten im Abgeordnetenhaus: die Berliner Grünen beharren auf der Trennung von Parteiamt und Parlamentsmandat. Die Partei aber trägt sie: Statt an ihr vorbeizuagieren, bekommen Jarasch und Wesener gerade für ihre Kommunikation in alle Richtungen viel Lob – eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich die Partei in ihren Spitzenkandidaten und im Wahlprogramm wiederfinden und den Wahlkampf unterstützen würde. Auf sie als eher unbekannte Gesichter und stark auf Inhalte zu setzen dürfte darum kaum schlechter laufen als die gescheiterte „Renate“-Show.

Dafür liefert noch ein anderes Beispiel Belege: Auch Franziska Eichstädt-Bohlig, mit der die Grünen 2006 als Spitzenkandidatin antraten, war kein prominentes Gesicht. Sie hatte sich zwar bis 2005 mehr als elf Jahre im Bundestag einen Namen gemacht, war aber in der Landespolitik wenig präsent. Dennoch schafften es die Grünen mit ihr, ein Ergebnis zu erzielen, das – wie fünf Jahre später mit Künast – für eine Koalition mit der SPD gereicht hätte. In beiden Fällen wollte aber Klaus Wowereit nicht.

Dass er 2016 – wenn turnusgemäß gewählt würde – noch einmal antritt, halten viele in der SPD für unwahrscheinlich. Was wiederum die Ausgangsposition der Grünen stärkt. Strukturell spricht ohnehin vieles für sie: Ihre Wahlresultate steigen kontinuierlich an, seit 2001 je Wahl um vier Prozentpunkte auf zuletzt 17,6 Prozent. In der jüngsten Meinungsumfrage sind es inzwischen wieder 24 Prozent, so viel wie die SPD. Der nächste Traum von der grünen Regierungsbeteiligung darf geträumt werden.

■ Ein ausführlicher Bericht vom Parteitag steht auf taz.de/berlin