In der Vorreiterrolle

INTEGRATION Der Neuköllner Roma-Statusbericht zeigt, dass viele Roma hier prekär leben. Doch der Bezirk bemüht sich – manchmal bis hin zu einer Positivdiskriminierung

„Nicht die Roma, sondern die Gesellschaft muss sich ändern“

PROJEKTLEITER CHRISTOPH LEUCHT

VON SVENJA BEDNARCZYK

Der neue, am Montag veröffentlichte Roma-Statusbericht des Neuköllner Bezirksamts zeigt weiterhin die großen Probleme, die den Roma in Neukölln, aber auch bundesweit immer noch in den Weg gelegt werden. So finden Roma schwerer Arbeit, werden öfter unterbezahlt oder erhalten seltener Wohnungen. Zudem haben zugezogene Roma, die in Deutschland leben, Schwierigkeiten, ihren Krankenversicherungsschutz geltend zu machen, also auch Probleme mit der Gesundheitsversorgung.

Doch Neukölln gibt sich als Vorreiter der Integration. Insgesamt hat der Bezirk 33 Willkommensklassen, das sind besondere Lerngruppen für neue SchülerInnen ohne Deutschkenntnisse. 40 Prozent der eingeschulten Kinder ohne Deutschkenntnisse in Neukölln waren vergangenes Jahr Rumänen oder Bulgaren, zusammen 192 Kinder. Dazu fördert Neukölln Sprachkurse für Eltern, Wohnhausprojekte oder etwa Kiezbetreuerinnen, die die Familien bei Behördengängen unterstützen. Das sind nur einige der Angebote.

Nach dem Bezirk Mitte sind in Neukölln die meisten Roma in Berlin gemeldet. Zwar erfasst das Amt für Statistik bei Meldungen nicht die ethnische Herkunft, doch „aus der praktischen Erfahrung vor Ort kann angenommen werden, dass ein großer Teil der Zuzügler zur Ethnie der Roma gehört“, sagt der Roma-Statusbericht. 2013 waren 29.232 Rumänen und Bulgaren in Berlin gemeldet. Davon lebten rund 7.000 im Bezirk Mitte, 5.500 in Neukölln und 2.500 in Charlottenburg-Wilmersdorf. Doch nicht alle melden sich beim Bezirksamt.

Das Fazit des Berichts: Die bisherigen Projekte sind gut, aber nicht genug. Die Förderung von Bildung und Integration der Roma muss gestärkt werden, um spätere Kosten zu verringern. Wie ein Mantra wiederholt die Bezirksstadträtin für Bildung und neue Vorsitzende der Neuköllner SPD, Franziska Giffey, diese Forderung am Montag auch auf der Tagung „Rumänische Roma in Berlin“. Sie bezog sich oftmals auf den Statusbericht der Neuköllner Behörde. Auch die anderen Teilnehmer kamen zu großen Teilen aus Neukölln, wie Benjamin Marx für das Roma-Projekthaus in der Harzer Straße.

Doch leider war das Podium wie so oft vor allem mit Mitarbeitern der Unterstützerprojekte besetzt, nicht mit den von einer prekären Lebenssituation Betroffenen selbst. Trotz des guten Willens, den man den Veranstaltern und Podiumsteilnehmern zubilligt, erschreckten einige der Formulierungen, die bei der rund dreistündigen Integrationstagung gefallen sind. „Wenn die Roma innerhalb kürzester Zeit Deutsch lernen würden, könnte der Antiziganismus weniger werden“, sagte beispielsweise die Moderatorin und Journalistin Marianne Theil – und erntete böse Rufe aus dem Publikum.

„Wenn ich Chancen auf einen Arbeitsplatz habe, habe ich auch die Motivation, eine Sprache zu lernen“, hakte Christoph Leucht ein, Projektleiter im Bereich Sprachförderung, doch diese Chancen blieben Roma oft verwehrt. Leucht appellierte, die Perspektive zu ändern: „Nicht wir müssen gucken, wie die Roma sich verändern müssen. Sondern wir, die Gesellschaft, müssen uns ändern.“

Auch Franziska Giffey pochte darauf, dass es zwar eine spezifisch antiziganistische Diskriminierung gebe, jedoch Probleme wie fehlende Sprachkenntnisse nicht Roma-spezifisch sind. Deshalb plädierte sie für eine nicht Roma-spezifische Förderung, wie in den Willkommensklassen für SchülerInnen. Projekte wie Sommercamps, die kostenlos sind, führten zu Positivdiskriminierung, wenn alle anderen zahlen müssen, sagte Giffey.