Immer mehr sollen gehen

FLÜCHTLINGE II Weitere 31 Männer vom Oranienplatz sollen Berlin verlassen. „Dann können sie mich auch gleich erschießen“, sagt ein Bewohner

„Wir haben nichts mehr, jetzt landen wir wieder auf der Straße“

BASHIR ZAKARIYA

Ahmed hat eine kleine Reisetasche dabei, sonst nichts. Er verabschiedet sich kurz von seinen Mitbewohnern, dann geht er los. Wohin, weiß er nicht, sagt er. Er habe akzeptiert, dass er ausziehen muss, er wolle keinen Aufstand machen. Seine Mitbewohner hingegen sind wütend: „Wir haben keine Alternative, wir sind völlig verzweifelt“, sagt einer.

Ahmed gehört zu den ehemaligen Oranienplatz-Bewohnern, deren Verfahren abschlägig beschieden wurde und die nun Berlin verlassen sollen. Letzte Woche waren 108 Flüchtlinge betroffen, am Mittwochmorgen erhielten 31 weitere einen derartigen Bescheid. 12 von ihnen wohnten bisher in einer Unterkunft im südlichen Neukölln, auch Ahmed gehört dazu. Hier ist auch Bashir Zakariya untergebracht, der zu der Gruppe von Flüchtlingen gehört, die im Frühjahr maßgeblich auf das „Einigungspapier Oranienplatz“ und den damit verbundenen Abbau des Protestcamps drängten.

Jetzt seien er und seine Mitstreiter frustriert und „sehr, sehr müde“, sagt Zakariya. „Wir haben nichts mehr, sie werden uns nacheinander rauswerfen, und dann wissen wir nicht, wohin wir gehen sollen“, sagt er. Er gehört zu den sogenannten Lampedusa-Flüchtlingen, die über Italien nach Deutschland gekommen sind und jederzeit dorthin abgeschoben werden können – wo man mit ihrer Versorgung völlig überfordert ist. „Wir haben in Italien auf der Straße gelebt, wir haben in Deutschland auf der Straße gelebt, und jetzt landen wir wieder auf der Straße“, sagt Zakariya. „Wenn ich hier rausgeschmissen werde, können sie mich auch gleich erschießen“, sagt ein anderer Bewohner.

An der Gürtelstraße protestieren die Flüchtlinge auch am neunten Tag ihrer Dachbesetzung ohne Nahrungsmittelversorgung weiter. Das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe warnte am Mittwoch vor den „gravierenden gesundheitlichen Schäden“ für die sieben verbliebenen Männer, die von Senat und Polizei durch deren „Aushungerungstaktik“ bewusst in Kauf genommen würden.

Das Sozialgericht gab am Mittwoch bekannt, fast alle 21 Anträge auf Eilrechtsschutz, die Oranienplatz-Flüchtlinge in der letzten Woche gestellt hatten, abgelehnt zu haben. Hauptgründe seien „widersprüchliche Angaben zur Lebenssituation“ gewesen. So habe ein Antragsteller unterschiedliche Geburtsdaten angegeben. Einige Kläger seien zudem in anderen Bundesländern registriert. Nur in einem Fall habe es einen „Teilerfolg“ eines Antrags gegeben: Ein über Italien eingereister Flüchtling soll bis „längstens November“ die „unabweisbar gebotenen Mittel zur Existenzsicherung“, nämlich 276 Euro im Monat, erhalten und untergebracht werden. So lange könne es dauern, bis der Mann nach Italien abgeschoben wird, erklärte das Gericht.

MALENE GÜRGEN