Bürger setzen Investor unter moralischen Druck

GEDENKEN Der Bürgergarten Wissmannstraße im Grunewald soll an eine jüdische Familie erinnern

Dem Bürgergarten Wissmannstraße läuft die Zeit davon: Noch bis Weihnachten könnte die Initiative ein konkretes Kaufangebot machen, wurde ihr vom Grundstücksbesitzer Ralf Schmitz Immobilien mitgeteilt. Der Investor möchte in dem Garten eine Luxusvilla mit drei Wohnungen errichten, im Frühjahr soll Baubeginn sein. Die Anwohnerin und Initiatorin des Bürgergartens, Barbara Gstaltmayr, hält dies für unmoralisch, weil die früheren Besitzer – die jüdische Familie Barasch – von den Nazis vertrieben, der Vater Artur Barasch im KZ ermordet wurde. Sie möchte aus dem Garten einen Ort des Erinnerns und Gedenkens machen. „Man kann doch keinen Gewinn machen auf Basis dieser Geschichte“, sagt sie.

In der Villa Wissmannstraße 11 lebte der Kaufmann Artur Barasch mit Frau und den Kindern Werner und Else. Nach der Machtergreifung der Nazis schickte Barasch seine Familie ins Exil, die Villa musste er für einen Spottpreis verkaufen, was nach dem Krieg als Enteignung anerkannt wurde. 1942 oder 1943 wurde er von den Nazis ermordet. Sohn Werner beschrieb seine Jugendjahre einschließlich seiner Flucht durch Europa in dem Buch „Entronnen“.

Lesungen und Aktionen

Mit einer Lesung daraus und einer Gedenkfeier eröffnete im Frühjahr der Bürgergarten seine Pforten. Im September transkribierten Schüler des Walther-Rathenau-Gymnasiums in Grunewald, auf das die Barasch-Kinder bis 1934 gingen, das Fluchttagebuch von Werner Barasch. Gstaltmayr hatte die handschriftlichen Aufzeichnungen im Mai in dessen Akte im Entschädigungsamt am Fehrbelliner Platz gefunden.

Mit solchen und ähnlichen bildungs- und erinnerungspolitischen Aktionen möchten die PR-Beraterin und der von ihr im Juni gegründete Verein „Öffentlicher Bürgergarten der Erinnerung“ weitermachen: 1,9 Millionen Euro haben sie dem Investor für das Grundstück angeboten – 400.000 Euro mehr, als er selbst beim Kauf vor über einem Jahr gezahlt haben soll. Das Geld, so hofft Gstaltmayr, könnte über die Lotto-Stiftung oder andere öffentliche Fördermittel eingesammelt werden. Doch der Investor verweigere seit Monaten das Gespräch darüber, wie viel er haben will – und wie viel Zeit er dem Verein zur Akquise gibt.

Der Meistbietende gewinnt

Der Sprecher von Ralf Schmitz, Hans Obermeier, sagte er der taz, man habe erst seit wenigen Wochen die Baugenehmigung. Derzeit gäben Wohnungsinteressenten ihr Angebot ab und man habe dem Verein gesagt, er könne dies auch tun. Die 1,9 Millionen seien formal kein Angebot gewesen; dafür habe unter anderem der Finanzierungsplan gefehlt. Den Zuschlag bekommt am Ende der Meistbietende, gibt Obermeier zu: „Das ist ein Wirtschaftsunternehmen.“ Für Gstaltmayr riecht das nach Hinhaltetaktik. „Jetzt ist es für uns zu spät, bis Weihnachten können wir unmöglich das Geld zusammenbekommen“, klagt sie.

So könnten schon zu Jahresbeginn die ersten Bagger anrollen und mit Bauvorbereitungen – sprich: Baumfällungen – beginnen. Das wäre das Aus für einen der ältesten Gärten im Grunewald – und die Idee des Bürgergartens. Dabei hat das Projekt inzwischen zahlreiche Unterstützer gefunden, darunter Andreas Nachama, Leiter der Topographie des Terrors, Barbara Scheffer, Beauftragte für Kultur im Landesvorstand der Berliner SPD, Shermin Langhoff, Intendantin des Gorki Theaters, sowie zahlreiche andere Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft. Der Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, Günter Morsch, hat eine Patenschaft für den Garten übernommen, ebenso das Walther-Rathenau-Gymnasium.

SUSANNE MEMARNIA