Polizei will raus aus dem Tunnel

NSU Bundestagsabgeordnete informieren im Abgeordnetenhaus über die Konsequenzen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss. Polizeipräsident will Rechtsextremismus gezielter bekämpfen

„Mit den V-Männern wurde aus einem Instrument zur Durchleuchtung der Szene ein Schutzschild für die Szene“

PETRA PAU, BUNDESTAGSABGEORDNETE DER LINKEN

VON PLUTONIA PLARRE

Sie seien gekommen, um zu sensibilisieren, sagen die Gäste: Der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages dürfe nicht in den Schubladen der Länder verschwinden. Eva Högl (SPD), Petra Pau (Die Linke), Christian Ströbele (Grüne) und Clemens Binninger (CDU) haben an dem im August 2013 veröffentlichten Bericht mitgewirkt. Am Montag nun informierten die vier Bundestagsabgeordneten den Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses über die erforderlichen Konsequenzen aus der 1.300 Seiten dicken Schrift. Polizeipräsident Klaus Kandt eröffnete die Sitzung, indem er einen eigenen Bericht präsentierte, in dem umfangreiche Maßnahmen der Polizei zur Bekämpfung von Rechtsextremismus aufgelistet sind.

Der Bundestagsausschuss gibt in seinem Bericht 47 Empfehlungen. So soll etwa die Polizei bei Gewalttaten gegen Migranten immer auch einen möglichen rassistischen Hintergrund prüfen. Genau darauf zielte die Kritik von Högl, die die Arbeit der Berliner Polizei ansonsten ausdrücklich lobte. Der Brand in der Kreuzberger Mevlana-Moschee im August, sagte Högl, zeige, wie die Polizei es genau nicht machen solle: Die Ermittler hatten sich zunächst sehr zurückgehalten und einen technischen Defekt als Grund nicht ausgeschlossen. Inzwischen ist sich die Kripo jedoch sicher, dass das Feuer absichtlich gelegt wurde.

Bei jeder schweren Straftat, bei der es Opfer mit Migrationshintergrund gibt, „muss routinemäßig ein ausländerfeindliches oder rassistisches Tatmotiv untersucht werden“, forderte Högl. Auch durch den Umstand, dass es kein Bekennerschreiben gebe, dürfe sich die Polizei nicht irritieren lassen. „Beim NSU gab es nie eine Bekennung, die Tat als solche war eine Bekennung“, sagte auch der CDUler Binninger.

Anders als Thüringen, Bayern, Hamburg oder Mecklenburg-Vorpommern war Berlin kein Tatland, in dem der NSU mordete. Aber bei der Aufklärung haben sich auch die Berliner Sicherheitsbehörden nicht mit Ruhm bekleckert. Viel zu spät teilte Innensenator Frank Henkel (CDU) dem Bundestag mit, dass seine Polizei mindestens einen V-Mann mit Verbindung zum Neonazi-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hatte. Bis heute ist nicht geklärt, warum die V-Mann-Führer beim Staatsschutz die Hinweise von Thomas S. nicht an die Thüringer Ermittler weitergegeben haben.

Und dann schredderte der Verfassungsschutz auch noch 57 Ordner mit möglichem NSU-Bezug. Trotzdem stellte ein von Henkel als Berliner Sonderermittler eingesetzter Oberstaatsanwalt den Behörden im Januar 2013 einen Persilschein aus: Streng juristisch gesehen sei alles rechtskonform gewesen, hieß es.

Was die Führung von V-Männern mit NSU-Bezug angehe, seien Berlin und Brandenburg Schlüsselländer gewesen, betonte der Bundestagsabgeordnete Ströbele am Montag. Entweder die Beamten des Staatsschutzes hätten sich von Thomas S. „in die Irre leiten lassen“ oder die Brisanz seiner Informationen nicht erkannt. Nicht nur deshalb, so Ströbele, sei er der Meinung: „Nazis als V-Männer machen keinen Sinn.“ Sie verursachten mehr Schaden und verhinderten eindeutig die Aufklärung. Petra Pau formulierte es noch drastischer: „Aus einem Instrument zur Durchleuchtung der Szene wurde ein Schutzschild für die Szene.“ Die Linken fordern die Abschaffung des V-Mann-Wesens.

Verschiedene andere Bundesländer haben den NSU-Komplex in eigenen Untersuchungsausschüssen aufgearbeitet. Die Piraten fordern einen solchen auch für Berlin. Grüne und Linke haben sich noch nicht entschieden. So oder so wird das Thema den Innenausschuss weiter beschäftigen: Zu einer weiteren Anhörung sollen Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, geladen werden. Sie sollen über ihre Erfahrungen mit den Sicherheitsbehörden im Umgang mit Rassismus berichten.

Kandt kündigte außerdem eine bessere Zusammenarbeit von Justiz und Verfassungsschutz an. Die Motive rechtsextremer Täter sollen genauer erfasst werden, Polizisten interkulturell fortgebildet werden. Angestrebt werde auch, mehr Migranten einzustellen. Für die Polizei gehe es auch darum, „aus dem Tunnelblick rauszukommen“.