Der Preis des Friedens

STUDIE Viele antisemitische Vorfälle werden nicht zur Anzeige gebracht, sagt ein aktueller Forschungsbericht der TU Berlin

VON MALENE GÜRGEN

In Berlin gibt es offenbar deutlich mehr antisemitisch motivierte Übergriffe als bisher angenommen. Die Dunkelziffer sei in diesem Bereich besonders hoch, heißt es in einer am Mittwoch vorgestellte Studie des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Viele Opfer antisemitischer Übergriffe würden bewusst auf Anzeigen verzichten – teils aufgrund von Drohungen und Einschüchterungen durch die Täter, teils aus der Befürchtung heraus, von der Polizei nicht ernst genommen zu werden. Es sei daher davon auszugehen, dass etwa die im Jahr 2013 in der Polizeistatistik erfasste Anzahl von 192 antisemitischen Delikten – die meisten davon Beleidigungen und Schmierereien – deutlich unter der tatsächlichen Zahl liege.

Insbesondere im Sportbereich sind antisemitische Beleidigungen gegenüber jüdischen Vereinen und SpielerInnen offenbar weit verbreitet. Nach Ansicht der WissenschaftlerInnen unter Federführung des Antisemitismusforschers Michael Kohlstruck wird aber besonders in diesem Bereich nur ein Bruchteil der Fälle verfolgt oder auch nur zur Anzeige gebracht. Viele Betroffene fühlen sich offenbar eingeschüchtert oder wollen nicht als „Störenfriede“ gelten, auch die negativen Erwartungen gegenüber Polizei und Sportsgerichten halten häufig von Anzeigen ab.

Täter meist Rechtsradikale

Die Studie konstatiert, dass sich die Debatte über antisemitische Phänomene in letzter Zeit besonders auf türkische oder arabische Täterschaften fokussiere. Tatsächlich aber gehe nach wie vor der Großteil antisemitischer Übergriffe auf das Konto Rechtsradikaler, dieses Thema sei in der öffentlichen Debatte nur weniger präsent. Das könne damit zusammenhängen, dass der Diskurs über Antisemitismus stark durch die auf diesem Feld stattfindende Bildungsarbeit geprägt sei, die sich eher mit jungen, ideologisch nicht gefestigten Menschen als etwa mit organisierten Rechtsradikalen befasse. Außerdem würde oft mit sehr schwammigen Definitionen des Begriffs Antisemitismus gearbeitet und so etwa Äußerungen wie „Scheiß Israel“ pauschal als antisemitisch gedeutet, obwohl es sich hierbei auch um eine politische Äußerung handeln könne.

Der Eindruck, die Glaubenszugehörigkeit sei für die Verbreitung antisemitischer Einstellungen unter jungen Muslimen ausschlaggebend, sei außerdem falsch: „Nicht das Merkmal ‚muslimischer Glaube‘ oder ‚Migrationshintergrund‘, sondern sozialstrukturelle Merkmale (Bildungsniveau, Einkommen etc.) sind für eine höhere Belastung ursächlich“, so die Studie.

Der von der Landeskommission „Berlin gegen Gewalt“ veröffentlichte Forschungsbericht kritisiert außerdem die prekären Zustände im Bereich der Bildungsarbeit. Die Abhängigkeit von externen Finanzquellen und die Projektförmigkeit der Angebote erschwere eine kontinuierliche und damit wirksame Intervention auf diesem Feld.

Der in der Neujahrsnacht angegriffene Israeli Shakak Shapira hat sich mittlerweile über Facebook und Interviews geäußert – und davor gewarnt, einen Vorfall wie diesen als Vorlage für Islamhass zu verwenden. Shapira hatte eine Gruppe Jugendlicher gefilmt, die in der U-Bahn antisemitische Parolen grölten und Menschen bedrohten, woraufhin ihn die Gruppe am Bahnhof Friedrichstraße körperlich angriff. Er wolle nicht, dass der Angriff als Vorwand für „noch mehr rassistischen Mist gegenüber Arabern“ genutzt werde, so Shapira. Stattdessen wünsche er sich, dass die Deutschen mehr Zivilcourage zeigten – ob bei Vorfällen wie diesem oder etwa durch die Teilnahme an Anti-Pegida-Protesten.