Wie schön ist doch die experimentelle Wucht

KINO UND KUNST James Benning, Heinz Emigholz, Christoph Schlingensief – das Programm der Reihe Forum Expanded

Alte Bekannte allenthalben – aber wo ist dieses Jahr das Ehrfurcht und Staunen erregende Werk?

VON BRIGITTE WERNEBURG

Alles in allem 72 Künstlern und Filmemachern aus 20 Ländern dankt die Programmleiterin Stefanie Schulte-Strathaus dieses Jahr für ihre Beiträge, die an zehn Orten gezeigt werden. Letztes Jahr waren es 38 Künstler an zwölf Orten. Es ist also schwer zu begründen, warum man aktuell trotzdem das Gefühl hat, das Programm dieser Reihe, in der Kino und zeitgenössische Kunstszene zusammenfinden, habe sich verkleinert.

Vielleicht liegt es an den vielen alten Bekannten. James Benning in der Akademie der Künste und James Benning im Kino Arsenal, das ist vor allem Tradition und kaum mehr Überraschung. Obwohl – seine Filmperformance am Montagabend verblüffte dann doch wieder. Zunächst zeigte der Filmemacher die stummen Bilder seines Films „North on Evers“ (1990), um anschließend dessen Voice-Over als Live-Lesung vorzutragen. Die knappen lakonischen Sätze handeln von einer Reise durch die Vereinigten Staaten und den dabei angetroffenen Personen, die man demnach in den zuvor gezeigten, ein bis zwei Minuten Schärfe pumpenden Porträtbildern gesehen hat.

Während der einigermaßen gleichförmigen Auf- statt Erzählung giggelte das Publikum immer wieder, wenn Benning kleine Witzchen auf Kosten seiner Ex-Girlfriends und sonstigen weiblichen Bekannten machte, die Zigaretten auf ihren Brüsten ausgedrückt haben wollten oder vier Bier in 20 Minuten tranken. Nun ja. In seiner kontemplativ-spröden 3-Kanal-Videoprojektion „Tulare Road“ in der Akademie zeigte er mehr Charme, als er in drei verschiedenen Jahreszeiten die gleiche Straße und die von Zeit zu Zeit auf ihr fahrenden Autos und Lkws in langen Einstellungen filmte.

Dass die Kuratorinnen Nanna Heidenreich, Bettina Steinbrügge und Stefanie Schulte Strathaus trendgerecht die Kunstpraxis der Performance zum Leitthema des Forum Expanded erklärt hatten, kam Christoph Schlingensief sicher zupass. Sein Ausgangspunkt war der italienische Stummfilm „L’inferno“ von 1911. Er soll einmal eine ehrgeizige Verfilmung von Dantes Höllenvision gewesen sein, von der es seit ein paar Jahren auch eine DVD-Version mit dem Soundtrack von Tangerine Dream gibt. Sie ließ Schlingensief nun auf eine große Leinwand im HAU 1 projizieren, wobei er den Soundtrack von Vangelis, wie er irrtümlich meinte, mit Hilfe von Laptop und Mischpult neu arrangierte. Viel Schaden war dabei nicht anzurichten, da hatte Christoph Schlingensief vollkommen Recht. Wie viel Erhellung aber die Ton- und Filmeinblendungen von Francis Ford Coppolas „Apocalype Now“, William Friedkins „Der Exorzist“, Klaus Kinskis „Jesus Christus Erlöser“ oder die Tonaufzeichnungen des Mittelalterphilosophen Kurt Flasch und des Schriftstellers Hubert Fichte dann brachten, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein.

Trendgerecht haben die Kuratorinnen die Kunstpraxis der Performance zum Leitthema erklärt

Der Mut allerdings imponierte, mit dem Schlingensief seine Performance als große Konfession über das Inferno seiner Krebserkrankung inszenierte, ohne wehleidigen Ton, dafür mit dem vertrackten Pathos des Kalauers, dem Oper und Operation eines sind und der eine im togolesischen Glaubenssystem genau definierte somatische Reaktion mit „ich glaube, genau diesen Hautausschlag hatte ich“ kommentiert.

Eine Art Ausschlag, mit ihrer Flickerästhetik, haben denn auch die aufwändig digitalisierten 16-mm-Filme aus den Jahren 1972–77 von Heinz Emigholz. „The Formative Years“ bilden gewissermaßen eine Gegenposition zu James Bennings gradlinigem Aufnahmestandpunkt, denn bei Emigholz zappeln die Bilder, und leicht beschleunigt laufen sie vor- und rückwärts und kreuz und quer, wobei sie sich am Ende doch zu langen Benning-artigen Einstellungen zu fügen scheinen. Die Filme, unter anderem zu einem Gedicht von Stéphane Mallarmé oder der Jack-Smith-Performance „Horror of the Rented World“ entfalten in der Installation, die sieben Leinwände so im Kunstraum des Hamburger Bahnhofs anordnet, dass man umherschlendernd seine eigene Montage erstellen kann, wohl erstmals ihre volle, Raum und Zeit verwirbelnde, experimentelle Wucht.

Trotzdem, man vermisst das Ehrfurcht und Staunen erregende Werk, wie es im letzten Jahr Ludwig Schönherrs 107-stündiges „Visuelles Tagebuch“ war. Man vermisst die Arbeit, die vielleicht nicht ganz in den Rahmen des Kinos passt, ohne deshalb gleich aus dem Feld der Kunst zu stammen wie Phil Collins wundersames Autokino in der Temporären Kunsthalle. Der dort gezeigte Forumsfilm, Ilona Baltruschs „Flug durch die Nacht“ von 1980, ist eine hübsche Etüde in filmischer Selbstreflexion. Zum Kino gehört sie aber schon deshalb, weil – neben raffinierteren Einfällen – der Blick in die Kamera oder das Mikro im Bild zu dessen ganz gewöhnlichen Alltagsunfällen ge-hören.