TROTZ EINES PRIMA ANFANGS KAMEN MIT DER BERLINALE, VIELLEICHT AUCH WEGEN DES BLÖDEN DALLMAYRS, DIE VERSAGENSÄNGSTE UND DIE SCHLAFLOSIGKEIT
: Die Menschen sind nicht zu verstehen

VON DETLEF KUHLBRODT

Mit Beginn der Berlinale erklärte ich den Winter für beendet! Ab nun gehörten lange Unterhosen der Vergangenheit an. Unglücklicherweise war die Lieblingshose darüber plötzlich kaputt. Gleichzeitig hatte ich große Angst zu versagen, konnte nicht einschlafen oder wachte in der Nacht auf von Gedanken, die diesen Text hier zu formulieren versuchten, ich dachte an die Jahre, in denen es mein höchstes Ziel gewesen war, diese Kolumne hier zu schreiben, fantasierte davon, dass es toll wäre, wenn man seinen Lebensunterhalt durch unsichtbare Texte verdienen könnte, fand mein Autorenfoto plötzlich recht eitel, weil Jenny das Bild ja vor zehn Jahren von mir gezeichnet hatte; irgendwie juckte auch der blöde Körper, es war schon 3 Uhr 50, und der Schlaf rückte mit jedem Buchstaben, den ich schrieb, in weitere Ferne. Ich machte ein Bier auf, das Bier spritzte auf mein T-Shirt; haha!, einschlafend dachte ich an einen schönen und depressiven englischen Selbstmörderfilm, der, 1986 glaube ich, den Silbernen Bären gewonnen hatte. Wahrscheinlich war auch der Kaffee schuld an meinen Einschlafproblemen; weil der Espresso alle gewesen war, hatte ich den blöden Dallmayr getrunken, und weil mir der blöde Dallmayr nicht geschmeckt hatte, hatte ich mir schnell doch noch den Espresso gekauft, begeistert getrunken und nun den Salat.

Eigentlich hatte die Berlinale prima begonnen: Um meine Kopfschmerzen zu bekämpfen und weil sich mein Rücken irgendwie schmerzhaft verbogen hatte, war ich mit dem Fahrrad aus Treptow zur taz gefahren; das Essen war super gewesen und hatte mich sogleich wieder nach vorn gebracht, wir hatten Neuigkeiten über das Wetter ausgetauscht, und wenig später war ich am Potsdamer Platz. Auf einem großen Porträtfoto von 2003 hatte mich der japanische Altmeister Yoji Yamaha begrüßt, eine sehr nette Schauspielerin war, leicht angedichtet, glaube ich, an mir vorbeigetippelt, fröhliche Arbeiter hatten Berlinale-Dinge aufgebaut, stolz hatte ich mir die schöne neue Berlinale-Akkreditierung um den Hals gehängt, war in den Berlinale-Palast gegangen, hatte mit den zwei supernetten Tresenkräften über den diesjährigen, sehr gelungenen Berlinaletaschenjahrgang gescherzt und die ebenfalls pinke, aber viel weichere Berlinaletasche von 2007 in die große, aus Gummi gefertigte aktuelle Berlinaletasche gesteckt. Auf der Tasche stehen ganz viele Filmtitel aus den letzten 60 Festspieljahren. Man kann sie allerdings nur mit einer Lupe lesen. Damals war’s, als in einem Jahrgang „Diva“, „Das Gespenst“ und „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ liefen. Vielleicht auch anders.

Wie jedes Jahr hatte ich es – aus guten Gründen – versäumt, mir die Wettbewerbsfilmankündigungen im Voraus durchzulesen, was einerseits den Vorteil hatte, dass es mich – vermutlich als Einzigen aller akkreditierten Journalisten – freudig überraschte, dass im Wettbewerb der neue Film des alten Dogma-Haudegens Thomas Vinterberg läuft, dass einer meiner Lieblingsschauspieler, Gérard Depardieu, in „Mammuth“ die Hauptrolle spielt.

Schade eigentlich, dass ich den wunderbaren Forumsfilm „Sawako Decides“ von Ishii Yuya schon im Vorfeld gesehen hatte. Sehr schön sind die Worte, die der Regisseur seinem Film mit auf den Weg gab: „Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich Menschen nicht ganz verstehe. Auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, sie zu verstehen – im Grunde genommen bin ich dazu nicht in der Lage.“