Vorsicht, Verwechslungsgefahr!

ALLES GESCRIPTED Dokumentation und Fiktion mischen sich bei Ruth Mader und Calle Overweg (Forum)

Hier ist alles eigentlich, es gibt keinen Subtext in Calle Overwegs Film „Beziehungsweisen“

Die Übergänge vom Dokumentarischen ins Fiktionale sind von jeher fließend. Schon Robert J. Flaherty hat in seinem wegweisenden Dokumentarfilm „Nanuk, der Eskimo“ aus dem Jahr 1922 zahlreiche Szenen inszeniert. Wenn allerdings nicht mehr erkennbar ist, was gescripted ist und was tatsächlich rein beobachtet, wird es problematisch.

Der Dokumentarfilm „What is Love“ von Ruth Mader porträtiert in fünf aufeinanderfolgenden Episoden Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen: eine junge Ärztin, einen selbstständigen Finanzberater, eine Frau, die monotone Nachtschichten in der Fabrik schiebt. Der Anfang des Films, die Geschichte mit der Ärztin, ist so gefilmt und geschnitten, dass man zunächst glaubt, man würde sich einen Spielfilm anschauen. Das liegt vor allem an der extremen Symbolhaftigkeit der meisten Szenen: die Frau, allein, im großen Bett, die Frau mit dem Auto in der Waschstraße, die Frau drinnen, die Welt draußen, abgedämpft.

Ruth Mader sagt über die Entstehungsgeschichte ihres Films, sie habe sich im Vorfeld der Dreharbeiten jeweils zwei Tage lang mit ihren Protagonisten und deren Umfeld beschäftigt, um dann zu entscheiden, welche Episoden für deren Leben „repräsentativ“ seien. Dieses frühe und intensive dramaturgische Eingreifen macht „What is Love“ zu einer Mischform zwischen Spiel- und Dokumentarfilm. Das ist per se nicht uninteressant.

Doch hätte die Regisseurin die Möglichkeiten, die dieser Weg bietet, auch in aller Konsequenz durchdenken müssen. Abgesehen von der Finanzberater-Episode, in der der unauflösbare innere Konflikt des Mannes, der sich nicht zwischen Job und Familie entscheiden kann, die einzelnen Szenen zusammenhält, gelingt es keinem der weiteren Porträts, tatsächlich etwas über den jeweiligen Protagonisten zu erzählen.

Der andere Film, „Beziehungsweisen“ von Calle Overweg, steckt in ähnlichen und doch ganz anderen Schwierigkeiten. Hier hat der Regisseur drei echte Paartherapeuten mit von Schauspielern verkörperten Paaren verkuppelt. Die Gesprächssituationen wirken real, die Probleme durchaus lebensecht. Jedes Mal geht es um die Frage nach Trennung oder Zusammenbleiben. Einmal ist die Frau schwanger, der Mann hat sie kurz zuvor betrogen. Ein andermal hat sich die Frau in einen anderen verliebt. Beim dritten Paar haben sich die beiden über Jahrzehnte hinweg in einen Zustand vollkommener Kommunikationsunfähigkeit hineinmanövriert. Kontrastiert werden die Therapiesitzungen von Episoden, in denen die Paare Szenen aus ihrem gemeinsamen Leben improvisieren. Schließlich gibt es noch rein dokumentarische Momente, in denen die Therapeuten über die Sitzungen und den Dreh sprechen.

So gut recherchiert und komplex die drei Fälle auch sind: Dadurch, dass praktisch alles gescripted ist, gibt es keine Möglichkeit zu entscheiden, was vielleicht doch nicht wirklich so gewesen ist, wie es die Figuren behaupten. Hier ist alles eigentlich, es gibt keinen Subtext. Und dadurch wirkt „Beziehungsweisen“ leider auch ziemlich banal.

ANDREAS RESCH

Termine www. berlinale.de