Wozu sind Währungen da?

ÖKONOMIEKRITIK Das Forum Expanded zeigt avancierte Filmarbeiten, die auf den Krisenkapitalismus reagieren. Einige davon sind in der Galerie bestens aufgehoben, andere gehören ins Kino, und manche werfen die Frage nach dem geeigneten Medium der Kritik auf

Das Festival wird in den Ausstellungskontext der Kunst hinein verlängert

VON SIMON ROTHÖHLER

Als das Forum Expanded 2006 zum ersten Mal stattfand, hätte man sich über einen Währungskrisenfilm eher gewundert. Es sei denn, man hieß Nouriel Roubini und wusste in etwa schon, dass und wie am Ende einer langen Krisenkette Staatshaushalte ins Wanken geraten werden. Sechs Jahre und etliche „Bail-outs“ später erwartet das Publikum von einem Programm, das Gegenwartszeichen zu registrieren verspricht, sogar einen Hinweis darauf, wie avanciert-kritische Filmformen unter den gegebenen Bedingungen auf den Krisenkapitalismus reagieren.

Spiel mit Transgression

„What is currency for, Hans?“, fragt in Duncan Campbells Montagefilm „Arbeit“ eine ziemlich aufgebrachte Stimme aus dem Off, die insgesamt vierzig Minuten lang zwischen bewusst inszenierter Agitation und Didaktik mäandert, während auf der Bildebene in gelassenerem Rhythmus eine Collage aus historischem Nachrichtenmaterial ausgebreitet wird. Der über den ganzen Film hinweg persönlich adressierte Hans heißt mit Nachnamen Tietmeyer. Bei den Verhandlungen zur Wiedervereinigung verließ sich Kohl in Wirtschaftsfragen auf seine Dienste; von 1993 bis 1999 war der Ökonom Chef der Deutschen Bundesbank.

Campbells Voice-Over-Text sucht Orientierung in der Biografie dieses einflussreichen Funktionsträgers – und schlägt dabei recht wilde Bögen: von einer westfälischen Kindheit bis zur Debatte um den Umtauschkurs bei der Einführung der DM in der gerade abgeschafften DDR. Die Stimme aus dem Off tadelt und zeigt Verständnis, verliert sich in volkswirtschaftlichen Exkursen zu Basel III und der gegenwärtigen Solvenzlage europäischer Banken. Stellenweise klingt sie wie die Abrechnung mit einem orthodoxen Monetaristen, dann wie aus dem Ruder laufendes Schulfernsehen. Auch spielerische Momente der Transgression sind möglich: Einmal beginnt eine Fotografie zu verbrennen, auf der Helmut Schmidt mit rauchender Zigarette zu sehen ist.

Sehr viel umwegloser, aber ähnlich wutbürgerlich gelaunt nimmt sich Ken Jacobs in seinem neuen Animationsfilm „Seeking the Monkey King“ den Status quo zur Brust. Stereoskope Bilder von unaufhörlich vor sich hin morphenden Alufolienlandschaften wechseln sich mit lustig humorlosen Schrifttafeln ab, die nun gerade keinen Raumeindruck evozieren sollen. Über die unvermittelt eingeblendeten zweidimensionalen Mitteilungssysteme stellt Jacobs einem darniederliegenden Amerika mit gerechtem Zorn ein schlechtes Zeugnis aus. Visuell geht es nach stets knapp bemessener Lesezeit dann wieder zu wie bei einer Low-Budget-Variante der Transformers. Die akustische Begleitung besteht aus instrumentierter Noise Art, die einen Horrorfilm anzukündigen scheint, der dann aber vor lauter Scheinbewegung im Alufolienland nicht recht vom Fleck kommt.

Eine rekonstruktive Variante filmisch vermittelter Ökonomiekritik wird in Rainer Ganahls Videoarbeit „The condition of the working class – Little Ireland 1842/2011“ vorgeführt, die einen Lesekreis zeigt. Und zwar ganz buchstäblich. Ein fahrradfahrendes Paar im heutigen Manchester: er lenkt und tritt, sie sitzt auf der Stange und verliest Friedrich Engels’ Schrift zur Lage der arbeitenden Klasse. Der Raum, in dem die aktuelle Kreisbewegung stattfindet, ist historisch zu verstehen. Als Engels Mitte des 19. Jahrhunderts an diesem Ort recherchierte, befand sich dort das pauperisierte „Little Ireland“, eines der ärmsten Viertel Nordenglands. Und auch die energisch deklamierende Frau legt eine Verbindungslinie in die Geschichte des Textes, der im Untertitel mitteilt: „Nach eigener Anschauung und authentischen Quellen“. Bei den Recherchen traf Engels auf Mary Burns, eine radikale Arbeiterin, die ihn durch Little Ireland führte (und in die er sich verliebte). Die Verschriftlichung der gemeinsamen Feldforschung konnte sich Burns als Analphabetin jedoch nicht überprüfend aneignen; Ganahls Arbeit, die aus realen (und ebenfalls filmisch dokumentierten) Lesegruppen- und Studienprojekten in Manchester hervorgegangen ist, lässt sich insofern sowohl als symbolisch nachholende Lektüre wie als Aktualisierungsgeste verstehen.

Zu den Besonderheiten der Expanded-Sektion gehört auch in diesem Jahr, dass sie den Kinoraum verlässt und das Festival in den Ausstellungskontext der Kunst hinein verlängert. Die Arbeiten von Campbell und Jacobs werden installativ vorgeführt im Rahmen der Ausstellung „Kritik und Klinik“ in den Kunstsaelen in der Bülowstraße.

Um rezeptionsästhetische Spezifik geht es dabei nur noch in Ausnahmefällen. Oft entscheidet einfach der Produktionskontext oder der Autorenstandpunkt. Woher das Geld kommt und ob sich derjenige, der es verwendet, primär als Künstler oder als Filmemacher versteht, schreibt das Ergebnis in den Kunst- oder Kinomarkt ein. Die Vorführpraxis kann aber wieder gegenteilig ausfallen, wie man bei Ken Jacobs’ Film sehen kann, der im Kino eigentlich besser aufgehoben wäre – allein schon aus Gründen der sich nur dort einstellenden sensuellen Überforderung.

Die für die Ausstellung „Kritik und Klinik“ zentrale Arbeit ist entsprechend dieser nicht ganz zu Unrecht unter Beliebigkeitsverdacht stehenden Zuordnungslogik ein normallanger Dokumentarfilm, der während des Festivals sowohl in den Kunstsaelen als auch im Kino Arsenal gezeigt wird. Luke Fowlers „All Divided Selves“ dreht sich um R. D. Laing, den charismatischen Vordenker der Anti-Psychiatrie-Bewegung der 1960er Jahre. Fowler geht es nicht nur um die Rekonstruktion eines theoretischen Paradigmas, das eine breit gefächerte gegenkulturelle Praxis beeinflusst hat. Der vorwiegend auf Archivmaterial basierende Film zeichnet zugleich Aufstieg und öffentliche Selbstdemontage eines Medienstars nach. Auch bei Laings zahllosen Fernsehauftritten stellt sich so gesehen die Frage nach dem geeigneten Medium der Kritik.