WAS BISHER GESCHAH (4)
: Der Muscheln Lust und Weh

Interessant zu erleben, wie ausdifferenziert der gastronomische Diskurs ist

Was wollen wir essen? Das ist die Frage, die eine Nebensektion im Berlinale-Programm umtreibt: das Kulinarische Kino. In diesem Jahr findet es zum siebten Mal statt, und es ist vermutlich der Teil des Festivals, dem Filmkritiker am skeptischsten begegnen. Der Preis von 85 Euro für Film und Menü bedeutet, dass sich im Spiegelzelt gegenüber vom Martin-Gropius-Bau ein älteres, bürgerliches Publikum einfindet. Und die für ein Filmfestival entscheidende Frage – was wollen wir gucken – tritt hier am weitesten in den Hintergrund. Was jeden cinephilen Berlinale-Besucher stört, findet sich in konzentrierter Form: die Gleichgültigkeit dem Kino als Kunstform gegenüber, die Vorliebe für Filme, bei denen die gesellschaftlich relevante Botschaft im Vordergrund steht, gepaart mit der Sorge ums eigene Wohlbefinden. Doch je mehr sich ein Feindbild aufdrängt, umso eher gibt es Grund, sich zu fragen, wie viel Projektion dabei im Spiel ist.

Am Sonntag, zur Eröffnung der siebten Ausgabe, habe ich Gelegenheit, mir das Phantom aus der Nähe anzusehen. Eine New Yorker PR-Agentin hat mir eine Karte für „L’amour des moules“ („Die Liebe der Miesmuscheln“) verschafft. Verantwortlich für das anschließende viergängige Essen – es gibt Muscheln, in Kaffee gewälzte Schwarzwurzeln und köstlichen, im Innern fast noch rohen Seesaibling – zeichnet Nils Henkel, ein Sternekoch aus Bergisch Gladbach. Der Film stammt von der niederländischen Regisseurin Willemiek Kluijfhout und handelt von Muschelzucht vor der Küste Zeelands. Es geht unter anderem um die Frage, ob die Zeeländer Fischer Muschelbänke im Wattenmeer abernten dürfen oder ob diese Form der Bodenfischerei verboten werden muss. Leider befragt die Regisseurin keine Naturschützer, sondern verlässt sich auf die Darstellung der Fischer. Dafür sieht man aus nächster Nähe, wie Muscheln in einem Aquarium Muschelsaat produzieren: Die männliche Muschel stößt eine weiße Flüssigkeit aus, die weibliche kleine Eier, und im Wasser trifft das eine auf das andere. Kein Wunder, dass Muscheln so sehr mit Sexualität konnotiert sind.

Nach dem Dessert, bei dem Rote Beete und Karamelleis einen schönen Kontrast bilden, findet eine Diskussion mit Regisseurin, Produzentin und Koch statt, launig moderiert von Madeleine Jakits, der Chefredakteurin des Feinschmeckers. Interessant zu erleben, wie ausdifferenziert der gastronomische Diskurs ist; von einem Fachgespräch unter Film-Nerds unterscheidet sich der Austausch über die Qualität von Bouchot-Muscheln im Vergleich zu Zeeland-Muscheln kaum. Die Regisseurin erzählt, wie schwer es war, das Entstehen der Muschelsaat zu drehen. Der Flüssigkeitsausstoß der männlichen Muschel machte das Wasser zu milchig. CRISTINA NORD