Der Rest ist Tortur

RÖMISCH-KATHOLISCH Dietrich Brüggemann inszeniert mit „Kreuzweg“ die Leidensgeschichte einer 14-Jährigen (Wettbewerb)

VON EKKEHARD KNÖRER

Dies ist die Geschichte der 14-jährigen Maria. Maria Göttler lebt irgendwo im deutschsprachigen Raum. Sie hat vier Geschwister, der jüngste Bruder, der vierjährige Johannes, ist von Mutismus befallen: Er spricht nicht. Weitere Formen der Verortung von Familie und Geschichte, sozial wie geografisch, verweigert Dietrich Brüggemanns Film. Was er zeigt, soll allgemeingültig sein. Als würde es das durch Platzierung im luftleeren Raum. Hinein dringt so auch nicht der leiseste Hauch dokumentarischer Neugier.

In der ersten Einstellung sitzt Maria mit einer Gruppe von Firmlingen an einem Tisch und wird von einem Priester (Florian Stetter) indoktriniert. Der wirkt smart und sanft, ist aber einer von den ganz Konservativen. Einer, der in Rockmusik das Satanische hört; einer, der der Überzeugung ist, mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sei der Teufel mitten in die Heilige Katholische Kirche spaziert. Vater Weber hält die Messe mit dem Rücken zur Gemeinde Lateinisch und geißelt im Firmunterricht die Bravo. Später wird Maria von einem Jungen aus der Parallelklasse zur Sünde verführt: Im Chor von dessen Kirchengemeinde wird neben Bach und Palestrina auch Soul und Gospel gesungen. Sie beichtet und widersteht.

Nach fünf Minuten hat man die simple Botschaft von „Kreuzweg“ verstanden, es handelt sich um der liberalen Hausapotheke elftes Gebot: Von Fanatismus sollte man lassen. Der Rest ist Tortur. Für Maria, die die Indoktrination in den falschen Hals kriegt und, auf dass der kleine Johannes zu sprechen beginne, ihr Selbstopfer plant. Vor allem aber für die Betrachter, die durch diesen Opfergang in 14 Tableaus leider mit durchmüssen. Neben den Schultheaterdialogen trägt zur Qual eine formale Idee einiges bei: Brüggemann hat Marias Geschichte nach dem Vorbild des Kreuzwegs modelliert.

Die Schwarzbilder zwischen den Szenen sind durchnummeriert und mit den Stationen von Jesu Weg Richtung Kreuz überschrieben. Die Kamera ruht, nur die eine oder andere Schärfeverlagerung sorgt für Dynamik. Die Last der Dynamisierung der Szenen liegt damit auf der Inszenierung des klar gerahmten Bilds und der Figuren darin. Auf die Herausforderung der formalen Idee reflektiert der Film aber nicht. Er geht damit um wie mit einem halbgaren Regietheatereinfall und begreift die Tableaus als Behältnis, das er dann mehr schlecht als recht füllt.

Ein halbgarer Einfall, auch weil „Kreuzweg“ die Tatsache, dass er sich aus dem Formenrepertoire des Religiösen bedient, wenig bedenkt. Ohnehin spürt man an keiner Stelle ein wirkliches ideologisches oder ästhetisches Erkenntnisinteresse. Maria (wirklich toll gespielt von Lea van Acken) gilt seine Sympathie, aber ihr Weg ins Verhängnis wird platt exekutiert. Ohne ästhetischen Gedanken, ohne formales Bewusstsein jenseits der undurchdachten Ausgangsidee, ohne die Spur eines Ringens um das Verstehen dessen, was hier geschieht, bleibt als letzter möglicher Schauplatz der Dialog: Hier aber kommt „Kreuzweg“ als das Laienspiel, das es ist, endgültig zu sich. Von schlichter Illustration und papierenem Aufsagetext zur komischen Pointe ist manches im Angebot. Gerade die Pointen führen den Film ad absurdum: Er erschöpft sich darin. Mit zwei, drei gelungenen Scherzen ist die Sache, wie Brüggemann sie sich vorstellt, im Grunde erledigt.

■ Heute, Friedrichstadt-Palast, 18 Uhr; International, 22.30 Uhr; 16. 2. Haus der Berliner Festspiele, 9.30 Uhr