Auf Distanz zum Festivalgeschehen

GEGENPOL „Woche der Kritik“ im Kino Hackesche Höfe betont die politische Dimension von Filmästhetik

Der Berlinale ist in den vergangenen Jahren sichtlich cinephiles Renommee abhandengekommen

Das Verhältnis zwischen weiten Teilen der Filmkritik und der Berlinale unter Dieter Kosslick ist, diplomatisch gesagt, kein allzu freundschaftliches. Kosslicks Neigung, das Festival mit immer neuen Sektionen zusehends zum Gemischtwarenladen zu parzellieren, steht seit geraumer Zeit die Forderung nach einer filmpolitisch-ästhetischen Kriterien Rechnung tragenden Konturierung des Programms gegenüber, auf die der branchennahe Intendant mit Vorliebe für den sozialdemokratischen Themenfilm allenfalls achselzuckend reagiert. Trotz einem deutlichen Massezuwachs kam dem Publikumsfestival in den vergangenen Jahren sichtlich cinephiles Renommee abhanden.

Vor dem Hintergrund dieser verhärteten Fronten ist es bezeichnend, dass der Verband der deutschen Filmkritik nach seiner Forderung einer „aktivistischen Filmkritik“ 2014 nun demonstrativ das Feld räumt, seine Zelte an den Hackeschen Höfen im spürbaren Abstand zum Festival aufschlägt und mit einem sieben Abende umfassenden Programm die „Woche der Kritik“ ausruft. Anders als die ebenfalls von Filmkritikern kuratierten Reihen in Cannes und Venedig, positioniert sich die „Woche der Kritik“ nicht nur räumlich in beträchtlicher Distanz zum Festivalgeschehen, sondern empfiehlt sich selbstbewusst als Gegenpol. Nicht Quantität und Event, sondern eine um verbindliche Standpunkte und argumentierte Kriterien bemühte Filmkultur soll hier neben dem sinnlichen Genuss im Mittelpunkt stehen, versprechen die Organisatoren. Nicht zuletzt einer vitalen cinephilen Streitkultur – am Potsdamer Platz meist stiefmütterlich behandelt – möchte man mit flankierenden Diskussionen ein Forum bieten.

Es darf, ja es soll also wieder um etwas gehen: „Die Filmkritik betritt das Terrain“, heißt es auf der Website. Man schreibt nicht mehr hinterher, sondern baut aktiv mit an einer Perspektive darauf, was 2015 Festivalkino sein könnte. Dem Belastungstest beim ersten Blick ins Programm hält die „Woche“ jedenfalls stand: Kein Underdog-Cinema ohne Chance auf Festival-Slots wird hier präsentiert, sondern eine mit wachem Blick aufs globale Kinogeschehen zusammengestellte Reihe.

Stark vertreten ist das asiatische Kino, das der Berlinale – trotz Goldenem Bären für „Black Coal, Thin Ice“ 2014 – zuletzt etwas abhandengekommen scheint. Das Todesfall-Drama „Revivre“ des koreanischen Altmeisters Im Kwon-Taek etwa hätte der Berlinale schon deshalb gut angestanden, da sie den Regisseur vor zehn Jahren mit einer vielbeachteten Werkschau ehrte. Auch der für seine klugen Polizeithriller gefeierte Hongkong-Regisseur Johnnie To zählte zu den Dauergästen des Festivals. Nun bietet sich die Möglichkeit, in einem Double-Feature seine Romantic Comedies kennenzulernen, der zweiten, im Ausland selten zur Kenntnis genommenen Säule seines Schaffens.

Überhaupt erweist sich die „Woche“ im Hinblick auf das Genrekino als erfreulich neugierig. Mit dem Korruptionsthriller „On the Job“ wirft das Programm nicht nur ein Schlaglicht auf das in den vergangenen Jahren mit regem Interesse verfolgte Kino der Philippinen, sondern stellt mit Erik Matti auch dessen profiliertesten Action-Routinier vor. Mit rohen Bildern von dreckigen Hinterhöfen stellt Matti dem im geleckten Professionalismus erstarrendem Hongkong-Kino eine vitale Alternative entgegen.

Der Berliner Regisseur Christoph Hochhäusler schließt in „Die Lügen der Sieger“ schließlich an Alan Pakulas Verschwörungsthriller aus den Siebzigern an. Im heutigen Medien-Berlin erzählt er von Geschichten hinter Geschichten, die schließlich Geschichte werden. Das geschieht in von Schlieren und Lichtreflexen durchsetzten Bildern von veruneindeutigten Räumen. Der klaren Sortiertheit von Kosslicks Themen- und Kunstgewerbekino steht hier die Insistenz auf die politische Dimension der ästhetischen Gestaltung entgegen.

Anders als bei der „Semaine“ in Cannes, einer Art Brutkasten für junge Talente von morgen, zeigt sich in der „Woche“ bislang zwar noch eine Tendenz zur Orientierung an bereits bekannten Parametern. Dem Auftrieb dieser Intervention tut das keinen Abbruch. Auch die Berlinale wird durch seine Reibung belebt. Dass sich diese widerborstige Keimzelle festsetzt und gedeiht, bleibt zu hoffen. THOMAS GROH