Iranische Filme auf der Berlinale: Nicht bleiben und nicht gehen können

Auf den ersten Blick verbindet das Motiv des Autofahrens die Filme. Auf den Zweiten geht es um Alltag und Leben in der Islamischen Republik Iran.

In „Madare ghalb atomi“ begibt sich Arineh (Taraneh Alidoosti) auf eine Nachtfahrt, in der Wirklichkeit und Traum vermschwimmen. Bild: Berlinale

Im Auto durch Teheran zu fahren und dabei zu filmen hat sich bewährt. 2002 zum Beispiel drehte Abbas Kiarostami „Ten“, einen Spielfilm, in dem verschiedene Figuren in den Wagen der Protagonistin steigen und über sich und ihr Leben nachdenken. Das war eine schöne Momentaufnahme weiblichen Alltags in Iran und zugleich eine kleine Enzyklopädie von Gesten und Bewegungen, die Figuren im Innern eines Autos ausführen.

In „Taxi“, einem der besten Beiträge im diesjährigen Wettbewerbsprogramm, verwandelt sich der per Gerichtsurteil zur Arbeitslosigkeit verdammte Regisseur Jafar Panahi in einen Chauffeur, der die eigene Nichte, einen ambulanten DVD-Verleiher oder eine Rechtsanwältin von einem Ort zum anderen bringt. Die Kamera schaut mal nach innen, mal nach außen und dann wieder anderen Kameras beim Filmen zu; die Stadt zieht vorbei, und die Dialoge umkreisen wieder und wieder, wie sich die zahlreichen Verbote, die zur Islamischen Republik gehören, unterlaufen lassen.

Auch in zwei weiteren Filmen aus dem Iran spielt das Auto eine große Rolle. In „Paridan az Ertefa Kam“ („A Minor Leap Down“) von Hamed Rajabi gibt es viele Szenen, in denen die Protagonistin Nahal (Negar Javaherian) durch Teheran fährt. Mehrmals missglückt das Ausparken. In einer Autowerkstatt bedarf es eines langwierigen Manövers, der Fahrer setzt 20-mal vor und zurück, ein Mechaniker muss unterstützend einspringen; ein anderes Mal steht Nahal einfach da, in einer Parklücke, der Motor läuft, ein anderer Fahrer wartet voll Ungeduld.

Aber es ist, als dürfte dieses Verharren, das Ausscheren aus dem Ablauf alltäglicher Handlungen noch nicht zu Ende gehen. „Paridan az Ertefa Kam“ setzt damit ein, dass Nahal bei einer ärztlichen Untersuchung etwas Erschütterndes erfährt: Der vier Monate alte Fötus in ihrer Gebärmutter ist tot. Eine Ausschabung steht ihr bevor. Statt dies ihrem Mann Babak (Rambod Javan) zu sagen und den Eingriff vornehmen zu lassen, zögert sie das Unvermeidliche heraus und legt dabei ein Verhalten an den Tag, das Passivität und Aggressivitiät kombiniert.

Fast alle übergeben sich

Plan- und ziellos, aber mit anarchistischer Energie versucht sie, aus ihrer geregelten Existenz auszubrechen. Der Ausbruch kann aber auch darin bestehen, sich in einem Zimmer einzuschließen. In einer schönen Szene lädt sie ihre Verwandten und Freunde zu einer Party in eine noch nicht möblierte Wohnung; statt eines anständigen Abendessens, wie man es von ihr erwartet, reicht sie Orangensaft, und weil die Gäste mit der Situation nicht zurechtkommen, bilden sie sich ein, der Saft enthalte Gift.

„Paridan az Ertefa Kam“, 15.2., Cubix 9, 14.30 Uhr

„Madare ghalb atomi“, 15.2. CineStar 8, 16.30 Uhr

Binnen kurzer Zeit übergeben sich fast alle Anwesenden; das Motiv, dass etwas – in diesem Fall der Saft – an dem Ort, wo es ist, nicht bleiben, zugleich aber diesen Ort nicht oder nur gewaltsam verlassen kann, lässt sich auf viele Weisen durchspielen.

Während Hamed Rajabis Film den Konventionen realistischen Erzählens treu bleibt, wagt sich Ali Ahmadzadeh mit „Madare ghalb atomi“ („Atom Heart Mother“, nach dem Album von Pink Floyd) auf einen Trip durch die Nacht, der an Martin Scorseses „After Hours“ (1985) erinnert. So wie der Protagonist bei Scorsese in Manhattan die Grenze von Wirklichkeit und Traum überschreitet, so ergeht es auch Arineh (Taraneh Alidoosti) und Nobahar (Pegah Ahangarani).

10 Jahre Youtube: Wie die Videoplattform im Internet zur lukrativen Bühne für Profis und Jungsstars wurde, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. Februar 2015. Außerdem: Dupsy Abiola hat einen berühmten Vater, ein Start-up-Unternehmen und Visionen. Ein Gespräch über die damit verbundenen Freuden und Abgründe. Und: Was Wirtschaftsunternehmen an Universitäten anrichten, wenn sie Geld an Einfluss knüpfen. Hochschulwatch ist angesagt. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Eine rätselhafte Figur

Der Film lässt sich wie eine Slacker-Komödie an, wenn die beiden etwas angetrunken in einem geliehenen Wagen von einer Party zurückkehren und am Straßenrand einen Bekannten aufsammeln. Sie essen Gummibärchen, begegnen einem Polizisten, mit dem sie über die Iranfeindlichkeit des Films „Argo“ debattieren, oder tauschen sich darüber aus, woher die so genannte westliche Toilette stammt. In einer der tollsten Szenen der Berlinale stimmen sie, frontal durch die Windschutzscheibe gefilmt, „We Are the World, We Are the Children“ an. Bevor sie ans Ende des Charity-Gassenhauers gelangen, bricht die Szene ab.

Ali Ahmadzadeh lässt eine rätselhafte Figur auftreten, Toofan (Mohammad Reza Golzar), von dem weder klar ist, wer er ist, noch, was er von den beiden Frauen will. Er sitzt auf dem Rücksitz, erteilt Befehle, fordert Bargeld, summt „Get Lucky“ von Daft Punk, und führt die beiden in eine Reihe bedrohlicher Situationen; unter anderem spielt dabei ein Saddam-Hussein-Lookalike eine Rolle, und einmal ist aus dem Off die Stimme Hitlers zu hören. „Die große Zeit ist angebrochen. Deutschland ist nun erwacht.“

Am Anfang von „Madare ghalb atomi“ öffnet und schließt sich eine Fahrstuhltür mehrmals nacheinander, die Frau im Inneren der Kabine hält offenbar ihren Fuß in die Lichtschranke, jenseits des unteren Bildrands: noch ein Raum, in dem die Figur weder bleiben noch ihn verlassen kann.

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