Die Regie da oben

FICTION Regisseur Sabu imaginiert in „Ten no Chasuke“ ein Drehbuch für unser aller Leben

Droben wird das Schicksal der Menschen geschrieben, drunten wird es nach dem droben geschriebenen Drehbuch gelebt. So jedenfalls die Fantasie des Regisseurs Hiroyuki Tanaka alias Sabu, der in seinem Film „Ten no Chasuke“ („Chasukes Reise“) den Schreiberhimmel in gelblichen Tönen als Writer’s Room imaginiert, in dem die Autoren an langen Papierbahnen sitzen und mit fliegendem Pinsel notieren, was dann drunten passiert. Etwas gerät jedoch durcheinander. Erst rauscht Gott durch und gibt das Losungswort „Avantgarde“ aus. Darauf pfuscht ein Autor dem anderen in die Geschichte von Yuri, der stummen Schönen, und lässt sie von seinem Protagonisten überfahren.

Das will der Autor von Yuris Leben nicht dulden und schickt mit ein paar Kollegen den himmlischen Teeausschenker Chasuke zur Rettung Yuris nach unten. In der Lücke zwischen Schicksalsniederschrift und dem Sich-Ereignen liegen ein paar Stunden Zeit – die soll Chasuke zum Eingreifen nutzen. Dies ist die etwas komplizierte, aber eigentlich schöne Prämisse des Films. Man sollte auch denken, dass Sabu das hinkriegt. Avantgarde vielleicht nicht, aber doch eine Tongue-in-cheek-Schicksalsfantasie. Schließlich war Sabu – ein Favorit der Berlinale seit seinem Debüt „Dangan Runner“ von 1997 – einmal ein Erzähler mit Sinn für Struktur. In „The Blessing Bell“ zum Beispiel hat er vom ereignisreichen Tag eines Mannes erzählt, der am Ende rückwärts noch einmal abläuft. Zuletzt zeigte er in seinen Literaturverfilmungen, dass er vom lakonischen Strukturalismus mit komischen Untertönen wegwollte.

Umso erstaunlicher, dass „Chasukes Reise“ jeden Sinn für Dramaturgie und Ökonomie des Erzählens vermissen lässt. Kaum ist Chasuke auf Erden, geht alles Mögliche wild durcheinander. Yuri wird gerettet oder auch nicht. Chasuke stirbt oder auch nicht und wird zu einer Art Engel, der Blinde und Gebrechliche heilt. Zwischendurch wird er von Yakuza aus seinem früheren Leben und auch Abgesandten übelwollender Lebensdrehbuchautoren durch die Straßen gejagt. Biografien werden im Schnelldurchlauf rekapituliert, worin aber nie die Liebe zur Story waltet; es ist nur Ausdruck reizloser, an den Figuren desinteressierter Willkür. Einzelne Einstellungen sind verlangsamt, verschmiert, es gibt nicht wenige Ausbrüche von Gewalt mit ziemlich ekelhafter Lust am Gemetzel. Es wird viel Pulver verschossen. Zwischendurch wird gekotzt.

So schwankt der Ton vom Grotesken ins Blutige ins Grelle ins Slapstickhafte ins Brachiale ins Sentimentale. Er schwankt aber so, als wäre ihm alles gleich und jeder Zusammenhang von Figur, Geschichte, Fantasie ganz egal. Die Treue eines Festivals zu einem Regisseur ist ja etwas Schönes. Ob sie so weit gehen muss, ein drittklassiges Werk im Wettbewerb zu platzieren, ist aber eine andere Frage. EKKEHARD KNÖRER

■ „Ten no Chasuke“. 14. 2., Haus der Berliner Festspiele, 15 + 20 Uhr