Bürgerinitiative: Der grüne Geist der Oderberger

Die Oderberger Straße in Prenzlauer Berg soll mit Denkmalschutzgeldern saniert werden. Anwohner fürchten um die wuchernde Pflanzenwelt. Dem grünen Stadtrat aber geht der Wildwuchs zu weit.

Links ein Baum, rechts ein Baum. Dazwischen auf jeder Straßenseite eine historisch anmutende gebogene Laterne. Die Zeichnung an der Wand wirkt wie ein Musterexemplar aus dem Katalog der Stadtplaner. Sie zeigt den typischen Querschnitt einer typischen Straße in einem typischen Berliner Altbauviertel. Genau deshalb sind sie hier. Der Frank. Die Käthe. Der Oskar und fast 50 weitere Menschen aus der Nachbarschaft drängeln sich am Mittwochabend im kleinen Raum der Betroffenenvertretung für das Sanierungsgebiet Teutoburger Platz. Sie erkennen auf der Architektenzeichnung alles Mögliche, nur nicht das Profil ihrer Straße, der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg. Und doch soll sie bald so aussehen. Nach der vom Bezirk angekündigten Totalsanierung. Im Jahr 2009.

"Endlich!", sagt Jens-Holger Kirchner anderntags der taz. Seit einem Jahr ist der Grünen-Politiker Bezirksstadtrat für öffentliche Ordnung. Und die sieht er in der Oderberger Straße gefährdet. Der Bürgersteig sei schief, krumm und lückenhaft, die Fahrbahn nur notdürftig asphaltiert. Seit 15 Jahren werden in den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg Wohnhäuser, Schulen und Kitas saniert. Der öffentliche Raum aber sei vernachlässigt worden. "Jetzt sind die Straßen dran", sagt Kirchner. Er ist froh, dass der klamme Bezirk 2,5 Millionen Euro aus dem Fördertopf für städtebaulichen Denkmalschutz aufgetrieben habe.

Denkmalschutz. Das Wort wirkt wie ein rotes Tuch im Büro der Betroffenenvertretung. Die Anwohner fürchten, dass ihre Straße unter dem Diktat historischer Vorgaben aufgeräumt werden soll. Ausgerechnet ihre wilde Straße. "Das einzige zu schützende Denkmal ist die heutige Situation", sagt einer.

Unter den Nebenstraßen Berlins dürfte die Oderberger eine der bekanntesten sein. Auf den knapp 400 Metern zwischen Kastanienallee und Mauerpark drängen sich fast 30 Kneipen, Imbisse, Restaurants. Dazwischen bieten Kleinstboutiquen und Secondhandläden Accessoirs für den Prenzlauer-Berg-Style. In keinem Berlin-Führer, der mit Szenekenntnis wirbt, darf die Oderberger fehlen.

Dennoch ist die Straße nicht zur bloßen Touristenmeile verflacht. Sie ist urwüchsig, wild, unangepasst. Vor allem die unzähligen Pflanzen, die nicht nur die Bierbänke auf dem Trottoir umgeben, sind ein Musterexemplar für das, was Stadtplaner gern partizipative Architektur nennen. Die anderorts trostlosen Erdquadrate, in denen Straßenbäume ihr Leben fristen, sind hier fast ausnahmslos von Anwohnern oder Wirten gestaltet. Mal mit einem kleinen Holzgatter, mal mit einem Metallzäunchen. Mal mit einer einladenden Bank, mal mit dicken Bohlen. Mal stehen die Latten quer, mal senkrecht. Aber immer ist der Boden voll wildem Grün. Zwischen den Bäumen stehen zudem alle paar Meter sogenannte Hochbeete. Aus Waschbetontrögen, Metallkisten und Terrakotta-Imitaten wuchern Büsche, Stockrosen, Efeu. Aus einem der Bottiche rankt eine schiefe Weide über die parkenden Autos.

"Dieser Wildwuchs mag seinen Charme haben, aber er hat auch seine Grenzen", sagt der Stadtrat. Die Oderberger sei immer noch eine Straße - und nicht bloß ein Schankgarten, betont Kirchner: "Es gibt Beschwerden, dass man auf den Bürgersteigen mit Kinderwagen oder Rollstuhl nicht mehr durchkommt." Wild gewachsene Bäume und "illegale" Hochbeete müssten mittelfristig sowieso weg.

Den Anwohnern geht diese Rigorosität zu weit. An den bedrohten Büschen und Bäumen hängt nun ein grünes X auf orangefarbenem Grund. "Soll weg" steht daneben. Oder: "Wird gefällt". Der Webdesigner Frank hat die Internetseite www.oderberger.org für den Protest programmiert. Nikolai hat Unterschriften für den Erhalt der Grünflächen gesammelt. Käthe plant mit Studenten der Technischen Universität eine Umfrage unter den Anwohnern. Jetzt fehlt nur noch die Bürgerinitiative, die den Protest bündelt. Die wollen die 50 Anwohner nun gründen, samt Arbeitsgruppen für Grünplanung, für Öffentlichkeit, für technische Recherche.

"Das Wichtigste ist: Wir müssen uns darüber verständigen, was wir wollen", sagt Oskar, der die Versammlungsleitung übernommen hat und sich wie die meisten mit Vornamen vorstellt. Einige würden die Straße gern zur autofreien Zone umbauen. Andere halten die Sanierung für überflüssig und wollen sie ganz verhindern. Beides geht den meisten zu weit. "Wir müssen fordern, dass es ohne uns keine Planung gibt", sagt Matthias. Und Frank ergänzt: "Wir Oderberger-Menschen müssen uns fragen, ob wir nur auf unseren Blumenkübel gucken oder ob es uns auch um den Geist der Vergangenheit geht."

"The spirit of 89 meets the Vision of 09" steht auf der Webseite der Initiative. Die Gleichsetzung mit der DDR-Revolution mag zu hoch gegriffen sein. Doch tatsächlich ist die Oderberger Straße ein traditionell widerspenstiger Ort. 1986, drei Jahre vor dem Mauerfall, sollten fast alle Gründerzeithäuser der Straße abgerissen und durch Plattenbauten ersetzt werden. Eine agile Anwohnerinitiative setzte die zu DDR-Zeiten ungewöhnliche öffentliche Vorstellung und Diskussion der Pläne durch und stoppte so den radikalen Stadtumbau. Zugleich erkämpfte die Initiative mehr Grün - etwa den bis heute bestehenden Hirschhof im Häuserblock nördlich der Oderberger Straße.

Kirchner kennt die Geschichte nur zu gut. Er war damals schon im Bezirk aktiv, aufseiten der gegen die Obrigkeit kämpfenden Bürger. "Der Geist der Oderberger ist uns wichtig", sagt der Stadtrat. Deshalb setze er auf Bürgerbeteiligung. Deshalb sei der jetzt vorgelegte Plan nur ein Entwurf. Deshalb könne noch niemand sagen, wie die Straße nach dem Umbau tatsächlich aussehen werde.

Auch die Anwohner wollen sich noch nicht festlegen. Nur eines müsse sichergestellt werden, meint Frank, bevor sich das erste Treffen der Bürgerinitiative auflöst: "Mindestens so viel Grün wie bisher."

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