Überhörte Gesänge: Nazis singen für die Polizei zu leise

Das Singen verbotener Lieder bei einer Nazi-Kundgebung bleibt folgenlos. Die Polizei will das nicht gehört haben.

Das Absingen des verbotenen Hitlerjugendliedes "Ein Junges Volk steht auf" auf einer Neonazidemo am 1. Dezember 2007 in Rudow bleibt ohne strafrechtliche Konsequenzen. Das geht aus der Antwort hervor, die der Abgeordnete der Grünen, Dirk Behrendt, auf seine Kleine Anfrage an Innensenator Ehrhardt Körting (SPD) kürzlich erhalten hat.

Das HJ-Lied wird von den Verfassungsschutzämtern als strafrelevant eingeschätzt. In mehreren Bundesländern wird gegen NPD-Funktionäre wegen Verwendens von Textzeilen dieses Liedes in der Wahlwerbung ermittelt. Nach Angaben mehrerer ZeugInnen soll der Anmelder der rechten Demonstration für ein nationales Jugendzentrum, Sebastian Schmidtke, nach einer Rede des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt die rund 500 TeilnehmerInnen per Lautsprecher zum Singen des inkriminierten Liedes aufgefordert haben. Die Polizei war nicht dagegen eingeschritten.

Behrendt wollte wissen, warum die Polizei sich so zurückgehalten hatte, obwohl sie "von Passanten ausdrücklich hierauf hingewiesen" worden sei. Das weist der Innensenator zurück. "Die eingesetzten Beamten vor Ort wurden nicht auf das Absingen des Liedes hingewiesen", schreibt Körting in seiner Antwort. Wegen der Geräuschkulisse hätten sie es auch nicht selbst wahrgenommen. "Die Tat konnte deshalb nicht unterbunden werden".

Mehrerer ZeugInnen hatten direkt nach der Demonstration Anzeige wegen Volksverhetzung erstattet und der Polizei auch eine MP3-Datei zur Verfügung gestellt, auf der das Lied zu hören ist. Die wurde laut Körting auch ausgewertet. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt.

Das hat den Parlamentarier besonders erstaunt. "Eine Einstellung kommt nach der Strafprozessordnung nur in Frage, wenn keine Straftat vorliegt oder kein Täter ermittelt werden kann. Beides trifft in diesem Fall nicht zu", betont der Jurist Behrendt.

Das Absingen des Liedes in allen drei Strophen während der Demonstration in Rudow ist auf Videos dokumentiert, die bis heute im Internet aufgerufen werden können. Zumindest ein Zeuge, der sich nach der Kundgebung bei der Polizei gemeldet hatte, sei nicht befragt worden, moniert Behrendt.

"Sind die Beamten am rechten Ohr taub?", fragt der Grünen-Abgeordnete. Schließlich wurde monatelang mit ungleich größerem Aufwand von der Berliner Polizei nach FotografInnen gefahndet, die rechte Führungsfiguren auf Demonstrationen aufgenommen haben sollen und beschuldigt wurden, ihre Fotos auch Antifa-Publikationen zur Verfügung zu stellen. Die Einstellung des Verfahrens könnte demnächst noch den Innenausschuss beschäftigten.

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