Montagsinterview Berlins Polizeivizepräsidentin: "Muss die Polizei mit so einem Aufgebot auftreten?"

Margarete Koppers könnte 2011 an die Spitze der Berliner Polizei rücken. Sie stellt sich die Frage, was passieren würde, wenn die Polizei mal bei einer Demonstration weg bliebe.

"Uniform trage ich nur zu besonderen Anlässen": Immerhin hat Margarete Koppers schon das Blau der neuen Polizeiunformen liebgewonnen Bild: Julia Baier

taz: Frau Koppers, sind Sie als Polizeivizepräsidentin nicht eine bessere Frühstücksdirektorin?

Margarete Koppers: Das ist eine provokante These. Ich weiß nicht, ob Sie darauf eine ernsthafte Antwort erwarten.

Wenn man sich in der Polizeibehörde umhört, heißt es, Frau Koppers sei nett und sympathisch, mache aber durch keine Entscheidungen von sich reden.

Koppers wurde 1962 im Landkreis Kleve in Nordrhein-Westfalen geboren. Zusammen mit zwei Schwestern wuchs sie nahe der holländischen Grenze auf. Der Vater hatte ein kleines Familienunternehmen. Er stellte Sirup her.

1980, mit Beginn ihres Jurastudiums, kam Koppers nach Berlin. 1988 wurde sie zur Richterin auf Probe ernannt. Koppers durchlief bei der Justiz viele Stationen. Unter anderem war sie Vorsitzende einer Strafkammer beim Landgericht und Beisitzerin beim Schwurgericht. Auch bei der Justizverwaltung und beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe war sie tätig. 2006 wurde sie Vizepräsidentin des Landgerichts Berlin.

Am 8. März 2010, dem Internationalen Frauentag, trat sie ihren Posten als Polizeivizepräsidentin an. Die Berliner Polizei hat 22.000 Mitarbeiter. In der absoluten Führungsebene - Stab und Direktionsleiter - ist sie die einzige Frau. Bei der Schupo liegt der Frauenanteil bei 20, bei der Kripo bei 30 Prozent.

Bei Teilen der Behörde gilt sie als Wunschkandidatin für die Nachfolge von Polizeipräsident Dieter Glietsch, der im Mai 2011 in Ruhestand geht.

Nein, ich nehme mich nicht so wahr. Ich habe durchaus den Eindruck, dass ich etwas bewirke, obwohl ich mich immer noch in der Phase befinde, die Behörde in ihren weiten Verzweigungen näher kennenzulernen.

Welche Kompetenzen räumt Ihnen Polizeipräsident Dieter Glietsch denn ein?

Herr Glietsch bezieht mich in alle Entscheidungen ein. Ich nehme an jeder Führungsrunde und jeder Diskussion teil. Mein Zuständigkeitsbereich ist das Personalwesen, dazu gehören auch die Disziplinarangelegenheiten. Und ich vertrete die Berliner Polizei bei internationalen Konferenzen. Zum Beispiel bei der Polizeipräsidententagung der Hauptstädte Europas.

Sie wählen bewusst die männliche Form?

Ja, denn in der Riege gibt es bisher nur ein paar vereinzelte Frauen.

Bei den Führungsrunden im Berliner Polizeipräsidium sind Sie die einzige Frau. Wie fühlen Sie sich in dem Zirkel zumeist älterer Herren?

Ich habe noch keine einzige Situation erlebt, die ich als unangenehm empfunden hätte. Die Kollegen verhalten sich ausgesprochen gentlemenlike - was ich in dieser Form nicht gewohnt war. Ich habe ja schon vorher viel und gern mit Männern zusammengearbeitet.

Sie sprechen von der Justiz?

Richtig. Die meiste Zeit meines Berufslebens war ich Richterin und habe Strafsachen verhandelt. Unter anderem war ich Beisitzerin beim Schwurgerich und später Vorsitzende einer großen Strafkammer beim Landgericht. Zwischendurch war ich in der Berliner Justizverwaltung und beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe tätig.

Was war Ihr größter Strafprozess - in dem Sinne, dass er öffentliches Aufsehen in den Medien erweckt hat?

Im Schwurgericht hatten wir einen Fall, der sich bei der Weltmeisterschaft im Damenhandball ereignet hat. Ein betrunkener Berliner hatte zwei dänische Fans erstochen. Die Mütter und Ehefrauen der Verstorbenen waren als Nebenkläger zugegen.

Wie nah lässt man als Richterin solche Dinge an sich heran?

Man lernt zu abstrahieren. Das muss man tun, um sich zu schützen. Aber man muss auch aufpassen, innerlich nicht zu verhärten. Das ist immer ein Balanceakt.

Gab es Prozesse, in denen Sie an Ihre Grenzen gestoßen sind?

Nein. Aber in Verfahren, wo Kinder die Opfer sind, oder in Vergewaltigungsprozessen bedarf es eines unglaublichen Einfühlungsvermögens. Manchmal dauern die Vernehmungen der Opfer tagelang. Die Frauen sitzen einem gegenüber und ihre flehenden Augen sagen: "Hör auf! Ich will darüber gar nicht sprechen." Aber man herausfinden, was die Wahrheit ist, und deshalb sehr konkret nachfragen. Das ist eine wirklich belastende Situation. Als Richterin habe ich immer versucht, möglichst viel an kritischen Fragen an das Opfer vorwegzunehmen, in der Hoffnung, sie ein bisschen empathischer rüberzubringen als die Verteidigerseite.

Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Grundsätzlich bin ich ein sehr herzlicher, offener Mensch.

Geht es ein bisschen genauer?

Im positiven Sinne zeige ich meine Gefühle deutlich. Wenn ich jemanden unsympathisch finde, versuche ich das natürlich ein bisschen zu verstecken, um das Gegenüber nicht gleich zu verschrecken. Wenn mir jemand auf die Nerven geht, kann er oder sie das aber möglicherweise auch merken.

Wie sind Sie dann?

Ich kann dann ein bisschen zynisch oder ironisch werden.

Fällt Ihnen ein Bespiel ein?

Ich hatte mal einen großen Prozess mit fünf Angeklagten und zehn Verteidigern. Einer meinte, mich belehren zu müssen mit allerdings völlig verfehlten rechtlichen Ausführungen. Ich habe ihn leicht süffisant darauf hingewiesen, wie die Rechtslage wirklich ist. Das hat er ein-, zweimal gemacht. Eigentlich halte ich es für keine gute Kommunikationsform, jemanden vorzuführen. Aber gelegentlich brauchten die Männer das, glaube ich.

Nun sind Sie in der Polizei in einer richtigen Männerdomäne gelandet. Wie kam es zu der Entscheidung - immerhin waren Sie zuvor Vizepräsidentin des Landgerichts?

Dass ich die Stellenausschreibung gesehen habe, war absoluter Zufall, zumal ich nicht konkret auf der Suche nach einer Veränderung war. Allerdings bin ich ein relativ umtriebiger Mensch. Vor meiner Tätigkeit als Vizepräsidentin am Landgericht war ich nie länger als drei, vier Jahre auf einer Stelle. Nicht, weil ich was Neues gesucht habe: Es hat sich immer etwas Neues ergeben. Mir ist es stets darum gegangen, mein Berufsleben so interessant wie möglich zu gestalten. Ich brauche Spannung und Herausforderung. Nichts schreckt mich mehr ab als Langweile.

Haben Sie die Entscheidung, von der Justiz zur Polizei zu wechseln, im Alleingang getroffen?

An sich ja. Natürlich habe ich aber mit Freunden und Bekannten gesprochen. Die Männer haben mir alle zugeraten. Sie waren von der Idee begeistert. Die Frauen waren zum Teil gespalten.

Was waren die Bedenken?

Zum einen, dass die Polizei eine Männerdomäne sei. Zum anderen genießt der Richter ein sehr hohes Ansehen. Einige können sich nicht vorstellen, die richterliche Unabhängigkeit gegen ein hierarchisches Verhältnis einzutauschen. Durch meine Verwaltungstätigkeit kannte ich diese Strukturen aber schon. Außerdem war die Polizei für mich immer ein gleichwertiger Partner, mit dem ich als Richterin sehr eng zusammengearbeitet habe. Auch das ist in der Justiz nicht zwingend so.

Worauf wollen Sie hinaus?

Wenn ich in einem großen Verfahren Nachermittlungen anstellen musste, war es oftmals schneller und effektiver, direkt an die Kripo heranzutreten. Meine Erfahrung war, dass die Polizisten in den Fällen gelebt haben und sehr engagiert dabei waren.

Nun haben Sie die Robe mit der Uniform getauscht.

Ganz so ist es nicht. Ich habe eine Uniform, aber die trage ich nur zu besonderen Anlässen. Im normalen Dienst wäre das aufgesetzt, weil ich eine reine Verwaltungsposition innehabe. Für mich gehört die Uniform auf die Straße, damit die Schutzpolizei als Ansprechpartner sofort erkennbar ist.

Apropos Straße: Was haben Sie am 1. Mai 2010, dem Großkampftag der Polizei, gemacht?

Ich habe mir alle Demonstrationen angeguckt und die Kollegen in den Befehlsstellen besucht. In Medien ist ja ein Hype betrieben worden, dass es in diesem Jahr richtig schlimm werden würde. Es wurden sogar Tote herbeigeredet. Das fand ich persönlich wirklich abschreckend.

Polizeipräsident Glietsch wurde am 1. Mai 2008 erkannt, als er in Kreuzberg die "Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration" besichtigte. Seine Anwesenheit wurde als Provokation empfunden. Nur mit Mühe könnte er in Sicherheit gebracht werden.

Das Problem war, dass Journalisten ihn fotografiert haben. Dadurch wurden die Demonstranten auf ihn aufmerksam.

Hat man Sie vorher gewarnt?

Die Kollegen vom Landeskriminalamt haben mir gesagt, worauf ich achten soll. Natürlich habe ich mich nicht in eine Situation begeben, in der gerade Steine flogen. Mir ging es darum, einen Eindruck zu gewinnen, um mitreden und mitfühlen zu können, wie es den Kollegen geht und ob das Einsatzkonzept funktioniert.

Hätte man etwas besser machen können?

Das zu beurteilen wäre anmaßend, wenn man nur einmal dabei gewesen ist. Am 1. Mai ist alles, was wir vorher besprochen haben, wirklich gut gelaufen. Aber natürlich denke ich auch darüber nach, was man anders machen könnte. Auch am 18. September 2010 habe ich mir alles angesehen: Die große Antiatomdemonstration in Mitte, die Veranstaltung der rechten Szene und die Gegenveranstaltung in Schöneweide bis hin zum Gedächtniskonzert für Dennis J. in Neukölln.

Der 26-jährige Dennis J. ist Silvesterabend 2008 in Brandenburg von einem Berliner Polizisten erschossen worden. Sie sprechen von dem HipHop-Konzert auf dem Reuterplatz, bei dem die Polizei von Autonomen und Migranten heftig beschimpft worden ist?

Richtig. Das Ganze war ja eine Veranstaltung gegen Polizei und Polizeigewalt. Es waren sehr viele Beamte vor Ort …

auf einen Konzertbesucher kamen ungefähr drei Polizisten.

Ich habe mich gefragt: Was würde passieren, wenn die als Feind empfundene Polizei nicht da wäre? Muss die Polizei mit so einem Aufgebot auftreten? Ich habe das danach mit einigen Kollegen diskutiert.

Und wie haben die reagiert?

Zurückhaltend. Wir machen vor solchen Einsätzen immer eine Gefährdungsbeurteilung. Die Kollegen meinen, wir könnten nicht riskieren, dass sich das möglicherweise vorhandene Gewaltpotenzial gegen unbeteiligte Anwohner und Geschäfte richtet, weil wir eine Schutzpflicht auch gegenüber öffentlichem und privatem Eigentum haben. Ich würde gern noch weiter diskutieren, wie die Gefährdungseinschätzung ohne polizeiliche Beteiligung wäre.

Haben Sie eine These?

Meine These ist nicht, weniger Personal hinzuschicken. Das halte ich für hochgefährlich. Man könnte aber mal darüber nachdenken, überhaupt kein Personal hinzuschicken. Mich würde interessieren, was passiert, wenn man diese Leute sich selbst überlässt. Das ist aber nur eine Frage, auf die ich selbst noch keine Antwort habe.

Was für ein Bild haben Sie von der Berliner Polizei?

Die Begeisterung und das persönliche Engagement der Kollegen sind wirklich umwerfend. Die Beamten haben eine sehr große Nähe zur Bevölkerung und machen unter anderem eine sehr gut Präventionsarbeit. Das berührt mich richtig.

Haben Sie gar keine Kritik?

Mit insgesamt 22.000 Mitarbeitern ist die Behörde unheimlich groß. Man braucht Hierarchien, um so einen Apparat zu führen. Und selbstverständlich müssen bei Einsätzen wie am 1. Mai oder am 18. September die Befehlsstrukturen funktionieren. Abseits dieser besonderen Situationen kann ich mir aber ein etwas weniger hierarchisches und mehr kooperatives Denken vorstellen.

Derzeit läuft alles auf den "one-man on the top" zu. Was sagen Sie zu der Kritik, Polizeipräsident Glietsch agiere als Alleinherrscher?

Herr Glietsch entscheidet nicht nur, er trägt die Verantwortung für die Sicherheit der Stadt. Er muss die bestinformed person sein. Die Art, wie er die Behörde repräsentiert und führt, ist beispielhaft. Meiner Meinung nach hatte Berlin noch nie einen so guten Polizeipräsidenten.

Gibt es Dinge, die Sie ganz anders machen würden als Glietsch?

Nein. Wir verstehen uns sehr gut und sind, obwohl wir von unterschiedlichen Seiten kommen, erstaunlich oft einer Meinung.

Herr Glietsch wird im Mai nächsten Jahres in den Ruhestand gehen. Können Sie sich vorstellen, seine Nachfolgerin zu werden?

Natürlich denke ich darüber nach - ohne für mich bislang eine eindeutige Entscheidung getroffen zu haben. Dazu wäre es auch noch zu früh.

Was könnte Sie abhalten?

Ich halte die jetzige Konstellation für sehr gut, mit einem gelernten Polizisten als Präsidenten, der die Behörde dementsprechend stark führen kann. Außerdem bin ich selbst erst sehr kurze Zeit in der Polizei tätig.

Ist der Stallgeruch wirklich so wichtig, wie Insider behaupten?

Bei einer Behörde von der Größe und Komplexität der Berliner Polizei kann es sehr leicht geschehen, dass die Person an der Spitze vom Rest abgekoppelt wird. Anders ist es, wenn man bei der Polizei groß geworden ist und genau weiß, was in so einer Behörde läuft. Dann hat man die Behörde im Griff - und nciht umgekehrt.

Ist die Berliner Polizei für Sie lediglich eine Durchgangsstation?

Nein. Genauso wenig wie jede andere Position, die ich bislang innehatte. Ich habe meine Karriere nicht geplant. Ich gebe aber zu, dass ich es schwer vorstellbar finde, 17 Jahre lang dieselbe Tätigkeit auszuüben.

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