Zottelmonster trifft Pixelschieber

CHARACTER DESIGN Das Pictoplasma-Festival wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Kulturphänomen und Kommerz. Die Lust an immer neuen Piktogrammideen macht weder vor Nachbargenres noch vor Kitsch Halt

Die anthropomorphen Piktogramme wecken Streichelwunsch oder bloßes Entsetzen

VON NADA CARLS

„Im Prinzip haben die Leute ja Recht, wenn sie sagen, das sei alles flach und niedlich“, reflektiert Peter Thaler die Frage nach einer wiederholt geäußerten Kritik am Pictoplasma-Festival. „Nee, das stimmt doch so nicht“, hält Lars Denecke prompt dagegen. Seit über 10 Jahren realisieren Thaler und Denecke jährlich die Pictoplasma – ein Netzwerk und Festival, eine Familie und gleichzeitig wichtiges Event für Liebhaber und Produzenten des zeitgenössischen Character Design. Was beim Selbstverständnis gilt, entspricht auch der Realisierung der Pictoplasma: Man variiert.

Der Kulturwissenschaftler Denecke und der Animationsfilmer Thaler starteten 1999 ehrenamtlich und bauten ein internationales Netzwerk der Character-Design-Zunft auf. 2005 folgte die Entwicklung zum Festival mit Ausstellungen und Konferenzen bis zum Höhepunkt 2009, als sie das Berliner Haus der Kulturen der Welt für eine Woche in einen überdimensionalen Animationsspielplatz verwandelten und Pictoplasma damit das bislang größte Aufsehen erlangte. So mancher Besucher ging danach wie LSD-vertrippt nach Hause, zweifelte an seinem Kunstverständnis – oder am altersgemäßen Zugang zum Thema. Rosa Rausch, Comic-Kitsch und zottelige Monster mit großen Augen: War das alles, was die Szene zu bieten hatte?

Character Design ist trotz seiner großen Popularität eine Nische geblieben, oft vorschnell abgestempelt als Kunst für Comicnerds und Pixelschieber. Es umfasst die Gestaltung illustrierter Figuren, die, im Unterschied zu „echten“ Comic-Figuren wie Mickey Mouse, von ihren ErfinderInnen ohne Identität und Geschichte in die Welt gesetzt werden. Ob als Gemälde, Pixelentwurf, Animation, Vinyl Toy oder gestricktes Knäuel mit Kulleraugen – letztlich sind sie allesamt Piktogramme mit anthropomorphem Äußeren und wecken beim Betrachter vom Streichelwunsch bis zu bloßem Entsetzen nahezu jede Reaktion. Ihr Anspruch ist nicht, etwas darzustellen, sondern dem Betrachter das Bespielen der Figur mit einem Charakter selbst zu überlassen. Schwierig wird es, wenn die Erschaffer der anfangs charakterlosen Figuren Grafikdesigner oder Illustratoren sind, die ihre Kunst zum Geldverdienen ausüben. So entstehen niedliche Allround-Werbeträger wie das mundlose Kätzchen „Hello Kitty“, die als gedrucktes Motiv so ziemlich alles vom T-Shirt bis zur Backmischung verkaufen helfen.

Das Pictoplasma-Festival ist offen für differente Formen des Selbstverständnisses und sieht keinen Widerspruch darin, sich zwischen Kunst, Unterhaltung und Kommerz zu bewegen. Das zeigt die Spannbreite der Veranstaltungen von Workshops, in denen der Spagat zwischen Beruf und Kunst reflektiert wird, bis zu Shops, in denen der Launch einer T-Shirt-Kollektion als Vernissage gefeiert wird. Die Besucher der diesjährigen Pictoplasma können wählen, wie und in welchem Kontext sie die bunte Welt der Character rezipieren.

„Wir verstehen uns nicht als Kunstfestival, eher als Kulturphänomen“, ergänzt Denecke und räumt damit das letzte Potenzial für Missverständnisse aus dem Weg. Neben den (bereits ausverkauften) Konferenzen im Kino Babylon-Mitte, mit Rednern wie Ryan Quincy, Chefanimateur bei South Park und freischaffender Wuschelmonsterzeichner, bietet der „Character Walk“ genannte Rundgang durch 25 Galerien und Projekträume einen Überblick über eine, vielleicht übergroße, Bandbreite internationaler Künstler. Neben Altbekanntem gibt es Artverwandtes aus angrenzenden Kunstsparten und Neuzugänge wie das Künstlerkollektiv Doppeldenk aus Leipzig. Kategorisierungen wie Kunst oder Kommerz interessieren die Kuratoren nur sekundär, sie feiern lieber die vielfältigen Facetten des Character Design, dessen immer neue Ideen Pictoplasma mit liebevoller Detailversessenheit erforscht. Das jüngste Ergebnis dieser Erforschung heißt PicTarot. Ein halbes Jahr haben Thaler und Denecke den Zusammenhang zwischen Tarot und Character Design ergründet, sich Mythos und Geschichte des Kartenspiels gewidmet. Heraus kam das Tarotblatt „PicTarot“, das Künstler der Pictoplasmafamilie wie Gary Baseman, FriendsWithyou oder Koralie erarbeiteten. „Die reduzierte Bildlichkeit der Tarotkarten gaukelt einerseits etwas Verbindliches vor und ist andererseits offen für Interpretationen“, sagt Danecke. Mit Zukunftsfragen können sich Besucher in der Temporären Kunstbox am Weinbergsweg die Karten legen lassen und wegweisende Antworten des „Kaisers“, der „Hohepriesterin“ oder des „Narrs“ erwarten.

■ Pictoplasma-Festival: 6. bis 10. 4., Infos: http://pictoplasma.com