BVG-FAHREN
: Diagnose Depression

Ich könnte reich werden mit meiner Versehrtheit!

Ich habe Akne, leide unter dem Restless Leg Syndrom und obendrein bin ich depressiv. Warum einen Arzt aufsuchen, wenn eine kurze Reise mit der BVG mich über sämtliche Malaisen samt Symptomen und – oha! – sogar kostenlose Behandlungsmöglichkeiten aufklärt. Aber was heißt hier überhaupt kostenlos. Geld bekäme ich dafür, würde ich mich den Menschen, die unter den auf den Plakaten angegebenen Nummern erreichbar sind, zu Verfügung stellen. Ich könnte richtig reich werden mit meiner Versehrtheit!

Aber mal der Reihe nach. Zuerst die Akne. Habe ich eigentlich seit zwanzig Jahren hinter mir – dachte ich. Doch dann: „Mindestens 10 Pickel“ steht zur Erläuterung auf dem Plakat. Ich krame meinen kleinen Taschenspiegel heraus und betrachte mein Gesicht. Wenn ich die kleinen roten Punkte auf den Wangen mitzähle … und da, am Kinn ist noch was!, komme ich tatsächlich auf zehn. Akne und Falten. Mit Mitte dreißig. Wer hätte das gedacht?

Nun zu den ruhelosen Beinen. Das ist doch dieses Gefühl, wenn die Beine so kribbeln und man besonders beim Einschlafen das drängende Bedürfnis verspürt, sie im ganzen Bett herumzuschleudern. Hab ich seit der Kindheit. „Das Wachsen“ nannte meine Mutter es und schmierte mich mit Franzbranntwein ein. So kann man sich irren.

Zuletzt: die Depression. „Sind Sie manchmal müde und grundlos traurig? Dann leiden Sie aller Wahrscheinlichkeit nach unter einer Depression.“ So steht es auf dem Plakat in der S-Bahn. Darunter auf den Sitzen müde und traurig wirkende Berliner Frühlingsgestalten. Wie jetzt: grundlos?! Es gibt drei Millionen Gründe, um traurig zu sein. Ich könnte eine ganze taz-Ausgabe damit füllen. Wer nie müde oder „grundlos“ traurig ist, leidet aller Wahrscheinlichkeit nach unter Gefühlsverkrustung. Diagnostiziere ich jetzt mal. Das gehört behandelt. Rufen Sie mich an!

KIRSTEN REINHARDT