Die Verteidigung des Waschbetons

POTSDAM Einst galt das „Minsk“ als modernes Kleinod. Jetzt will die Stadt das Terrassenrestaurant abreißen und das Gelände verkaufen. Selbst frühere DDR-Kritiker protestieren: Sie halten die Architektur für denkmalwürdig

„Hier ist sehr viel Freizeit hineingeflossen“

Denkmalexperte Christian Wendland

AUS POTSDAM JAN STERNBERG

Warum will so einer jetzt die Ostmoderne retten? Warum spricht ein Puttenliebhaber wie verzaubert über Waschbeton? Christian Wendland, Architekt und Denkmal-Experte, versuchte in der DDR, das barocke Potsdam vor sozialistischen Kahlschlagplanern in Sicherheit zu bringen, protestierte gegen den Abriss des Stadtschlosses und wanderte deswegen 1961 ins Gefängnis. Jetzt will er das „Minsk“ retten, das ehemalige Terrassenrestaurant am Potsdamer Brauhausberg, eine tieftraurige Ruine, durch die der Wind pfeift.

Wendland, 73 Jahre alt, sagt, er sei sich treu geblieben. „Damals war ich gegen die verblödeten Ideologen, heute gegen die Verblödung im Zeichen des Euro“, sagt er und setzt hinzu: „Damals wie heute war ich ein bunter Hund.“

Auch das Minsk, eröffnet 1977 zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution, war in Potsdam bekannt wie ein bunter Hund. Die Menschen strömten in Restaurant, Café und Bar und auf die Außenterrasse mit 110 Plätzen. Zum Essen, zu Single-Tanzabenden, zu Feiern. Sie genossen den Blick – der noch spektakulärer hätte ausfallen können. Eine Dachterrasse, die der Architekt Karl-Heinz Birkholz vorgesehen hatte, konnte aus Kostengründen nicht gebaut werden.

Bald könnte vom Minsk gar nichts mehr zu sehen sein. Nach der aktuellen Planung der Stadt Potsdam werden das Restaurant und die benachbarte, 1971 erbaute Schwimmhalle in den kommenden Jahren abgerissen. Keine Chance für anspruchsvolle DDR-Architektur in zentraler Lage. Der untere Teil des Brauhausbergs soll vermarktet und mit bis zu viergeschossigen Wohn- und Bürohäusern bebaut werden. Mit dem Erlös hofft die Stadt eine neue Schwimmhalle im Norden Potsdams zu finanzieren. 18 Millionen soll sie kosten, zwölf Millionen sollen die Grundstücke am Brauhausberg bringen.

Strenge Linien, klare Formen: So hatte Birkholz das Minsk gedacht. Der verwendete Rotklinker stellte den Bezug zur SED-Bezirkszentrale oben auf dem Berg her – dem heutigen Landtag. Ein Säulengang verband das Restaurant mit der Schwimmhalle. Die DDR-Presse jubelte schon vorab: Der „Brauhausberg im neuen Bild Potsdams“ sei das „Juwel einer Stadt“, schrieb die Märkische Volksstimme am 1. Mai 1970. Ein „Schmuckstück“, ein „Kleinod“ seien die neuen Bauten.

So viel rhetorischer Luxus ausgeschüttet wurde, so knauserig war der klamme Staat bei der Errichtung. „Unser sozialistisches Leben wird schöner! Helfen auch Sie beim Aufbau mit!“, warben Großplakate für Spenden, Arbeitsstunden von Betrieben und private Subbotniks. „Unser Ziel: Rohbaufertig als Geburtstagsgeschenk zum 20. Jahrestag unserer Republik!“ Schwimmhalle und Terrassenrestaurant wurden also nicht nur für die Bürger errichtet, sondern auch durch sie. „Hier ist sehr viel Freizeit hineingeflossen“, sagt Christian Wendland.

Darf man so etwas einfach abreißen? Gerade sieht es so aus, als ob der Kahlschlagplan kippen könnte. Im Herbst entscheidet der Stadtrat über die Schwimmbadpläne. Und bereits vergangene Woche verkündete der Chef der Potsdamer Stadtwerke, Burkhard Exner, die eingeplanten 18 Millionen Euro reichten nicht aus. Mit fünf Millionen komme eine Sanierung der alten DDR-Halle viel billiger. Das alte Bad mit dem geschwungenen Dach, dessen Vorbild in Dresden unter Denkmalschutz steht, könnte also noch eine Chance bekommen. Es wäre das Ende einer jahrelangen Debatte. Am Brauhausberg sollte auch schon der brasilianische Star-Architekt Oscar Niemeyer ein Spaßbad errichten. Die Pläne zerschlugen sich.

Kein Denkmalschutz

Das Niemeyer-Projekt ist schuld daran, dass die Schwimmhalle mit ihrer 50-Meter-Bahn und das benachbarte Minsk noch nicht unter Denkmalschutz stehen. Eine Anregung dazu liegt seit kurzem bei Landeskonservator Detlef Karg in Wünsdorf, abgeschickt von „Pro Brauhausberg“, einer von zwei Potsdamer Bürgerinitiativen, die sich für die Gebäude stark machen. Eigentlich will „Pro Brauhausberg“ eine Bebauung der Grünflächen auf dem Hang verhindern – aber für einige ist die Debatte um die Ostmoderne wohl ein Mittel zum Zweck.

Wendland, der bei der Initiative mitmischt, liegt beides am Herzen: das Grün und der Beton. Der Architekt sitzt zudem im Landesdenkmalbeirat und will versuchen, über dieses Gremium dem Antrag mehr Nachdruck zu verleihen. Dessen Prüfung könne Monate dauern, sagt Landeskonservator Karg.

Für Wendland liegt der Denkmalwert auf der Hand. Er steht zwischen Glasscherben und jungen Birken auf der überwucherten Terrasse der Restaurant-Ruine, hinter sich den verrammelten Eingangsbereich, die zerschlagenen Scheiben, die demolierte Einrichtung. Wasser tropft bräunlich von der Decke. „Der Waschbeton“, ruft er. Ein Laie würde den niemals schön finden, Wendland findet ihn wichtig. „Das war damals der Trend im Westen, und hier setzte es ein Architekt auch in der DDR durch, das ist doch ein Erfolg!“

Die ganze Anlage hat für ihn einen künstlerischen Anspruch. „Den hat sie in ihrer Zeit auch erfüllt.“ Von Ideologie will der DDR-Kritiker Wendland dabei nichts hören: „Karl-Heinz Birkholz, der Architekt, war kein Genosse. Und überhaupt: Was heißt hier, ‚die DDR‘ hat es gebaut? Das waren wir, die Bürger!“