Kein Recht auf Sonnenschein

BAUEN Neben einer Kreuzberger Kita soll ein vierstöckiges Pflegeheim entstehen. Die Kita wird dann wohl ein Schattendasein fristen

Der Flachbau in der Kreuzberger Waldemarstraße lässt im ersten Augenblick nicht auf die quirlige Meute schließen, die in seinem Inneren über die Flure wuselt. 75 Kinder kommen täglich in die Kita Sankt Michael, und neben der freundlichen Atmosphäre lockt vor allem der liebevoll gestaltete Innenhof die Familien an: „Stadteltern suchen jedes Fleckchen Grün“, sagt die Leiterin des Kindergartens, Kerstin Kwapisz. „Unser Spielplatz ist da für viele ein echtes Filetstück.“

Das wird sich voraussichtlich bald ändern. Denn das Immobilienunternehmen Siefos will auf dem Nachbargrundstück der Kita ein Pflegeheim bauen. Wo bislang die Morgensonne über die Dächer schien, sollen sich bald vier Geschosse vor den Kindern auftürmen.

Baubeginn im Frühjahr

„Wir stehen in den Startlöchern“, bestätigt Magdalena Haupt, Geschäftsführerin der Siefos GmbH. Die Baugenehmigung liege vor, im Frühjahr sollen die Bagger kommen. 30 Pflegebedürftige sollen nach Abschluss der Bauarbeiten einziehen, momentan verhandelt Haupt mit potenziellen Betreibern des Heims. Auf demselben Gelände betreibt die Siefos bereits ein Wohn- und Sozialprojekt mit Platz für 132 Obdachlose. „Das Grundstück ist groß genug“, sagt Haupt. Da biete es sich einfach an, noch etwas zu bauen.

„Ich will nicht, dass meine Kinder im klitschnassen Sand versumpfen“, sagt hingegen die Elternvertreterin der Kita Iris Rösner. Sie sieht das bislang gute Verhältnis zwischen den Nachbarn gefährdet. Die Sankt-Michael-Gemeinde habe sich immer hinter das Obdachlosenprojekt gestellt. Dass Siefos nach den Protesten der Kita nun doch unverändert baut, sei eine „Kampfansage“.

Besonders ärgerlich sei der lange Schatten, den der Neubau werfen wird – wurde die Kita doch erst vor anderthalb Jahren energetisch saniert, gefördert mit mehr als einer halben Million Euro aus öffentlichen Mitteln. Dank der großen Fenster erhellt seitdem Tageslicht die Gruppenräume. Nun befürchtet Rösner, dass die Energiekosten der Kita künftig steigen. Auch für Kerstin Kwapisz bleibt die Zustimmung zum Bauvorhaben unverständlich: „Erst investiert man einen Haufen Geld und dann wird alles zunichtegemacht.“ Magdalena Haupt sieht das anders. Man könne eben nicht mitten in der Stadt von einem „unverbauten Meerblick“ ausgehen – und müsse sich, bevor investiert werde, besser informieren.

Fassade soll grün werden

Nach dem letzten Vermittlungsgespräch zwischen den beiden Streitparteien im Oktober des vergangenen Jahres mit Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) war der Bauantrag vom Bezirksamt genehmigt worden. Immerhin sähen die Pläne einen größeren Abstand zwischen den Gebäuden vor als in der Bauordnung festgeschrieben, so Haupt: 29 Meter. „Das ist breiter als eine ganze Straße“, sagt sie. Außerdem soll die Fassade des Gebäudes begrünt werden. Kerstin Kwapisz’ Befürchtung bleibt: „Durch den Neubau werden wir zum grauen Hinterhof degradiert.“ ANJA RILLCKE