Musik: "'Männer' ist ein Volkslied"

Der Berliner Kneipenchor entwickelt sich vom Geheimtipp zum Publikumsmagnet. Gegründet hat ihn Mathias Hielscher - obwohl er selbst überhaupt nicht singen kann .

"Bei uns wird nicht gegrölt." Bild: Fiff14 / photocase.com

taz: Herr Hielscher, wie kamen Sie auf die Idee, den Kneipenchor zu gründen?

Mathias Hielscher: Ach, das ergab sich so. Nino Skrotzki, mit dem ich viele Jahre in der Band Virginia Jetzt! gespielt habe, hatte einen Chor gesucht, aber keinen passenden für sich gefunden. Er wollte einen lockeren Chor, in dem er Stücke singen kann, die er selbst gern hört, also eher so Popsachen. Nachdem er nichts fand, sagte ich zu ihm: Dann lass uns doch selber einen Chor gründen.

Warum auch nicht?!

Wir haben dann ein paar E-Mails an Freunde geschickt und im Januar 2011 das erste Mal mit 15 Leuten geprobt.

Ausgerechnet Sie als Gründer singen aber nicht mit?

Ich kann nicht singen, deshalb kümmere ich mich mehr ums Organisatorische. Im Grunde habe ich für Nino den Chor gegründet, weil ich gern neue Ideen verfolge. Wenn ich merke, so etwas gibt es nicht, aber es kann toll sein, dann reizt mich das. Nur weil ich nicht mitsingen kann, empfinde ich nicht weniger Freude, dem Chor zuzuhören.

Haben Sie früher nie in einem Chor gesungen?

Nein, aber ich kenne das gemeinsame Chorsingen vom Konfirmandenunterricht und von den Gottesdiensten in unserer Gemeinde in Gröden (Brandenburg). Für mich war das gemeinsame Singen immer wie der Zuckerguss in der Kirche. Wenn ich’s genau bedenke, hat mich das eigentlich auch zum Musikmachen bewogen. Bei den jungen Konfirmanden hatte stets jemand eine Akustikgitarre mitgebracht, wozu wir dann Lieder sangen. Das war ein ausschlaggebender Grund für mich, selbst Gitarre zu lernen.

Im Gegensatz zu Deutschland haben Kneipenchöre in England ja eine Tradition …

Ja, dort gibt es die schon eine Weile. Sie singen ebenso traditionelle wie poppige Lieder, wobei die Engländer das Glück haben, dass ihnen die Beatles haufenweise moderne Traditionsmusik lieferten. Wenn sich die Briten im Pub treffen, um gemeinsam Lieder zu singen, ist das jedoch nicht so auftrittsbezogen wie bei uns. Wir proben einmal wöchentlich und treten dann irgendwo auf. Die englischen Kneipenchöre nehmen das noch eine Spur lockerer. Da finden sich nicht unbedingt immer dieselben Leute zusammen, sondern man kommt auch mal spontan in den Pub, trinkt ein Bier und singt im Chor mit.

Das Biertrinken ist genauso wichtig wie das Singen?

Ob man Bier trinkt oder Apfelschorle, ist eigentlich egal. In erster Linie geht es darum, dass die Kneipe ein ungezwungener Ort ist, wo man sich zum entspannten Singen treffen kann.

Was nicht heißt, dass Ihr Anspruch niedrig wäre?

Wir legen schon Wert darauf, dass alles gut klingt. Bei uns wird auch nicht gegrölt.

Wer sucht die Stücke aus?

Die Vorschläge kommen aus dem Chor heraus, es gibt keine festen Regeln. Wir, ein kleines Quartett um Chorleiterin Jana Klepers, schauen uns dann an, was umsetzbar ist. Es eignet sich ja nicht jedes Lied für einen Chor, manche passen auch nicht zu einem Kneipenchor.

Das Repertoire stammt aus dem Popbereich und reicht von „Get Around“ von den Beach Boys bis Grönemeyers „Männer“. Volkslieder fallen prinzipiell aus?

Für mich ist „Männer“ ein Volkslied und „Ohne dich“ von Münchner Freiheit genauso. Für uns sind Volkslieder nicht, was Marianne und Michael präsentieren, sondern Lieder, die fast alle Leute mitsingen können.

Ich meinte nicht Volksschunkellieder, sondern echte alte Volkslieder.

In der Hinsicht ist überhaupt nichts ausgeschlossen. Es gibt keine Satzung, die uns was vorschreibt. Und wenn jemand sagt, lasst uns mal ein Werbejingle singen, kann das auch passieren.

Der Chor hat 30 Mitglieder, viele sind aus der Kreativbranche. Jetzt herrscht Aufnahmestopp?

Ja, mehr geht nicht, auch um das Familiäre zu erhalten. 15 Jungs und 15 Mädchen, das ist okay, so passen wir noch in kleine Kneipen.

Über Auftrittsangebote können Sie nicht klagen?

Wir haben viele unterschiedliche Anfragen. Am liebsten sind uns kleine Lokalitäten wie der „Schokoladen“ oder das Neuköllner „Ä“, wo geraucht und getrunken wird. Dort lässt sich die Atmosphäre am besten zum Publikum transportieren.

Passiert es oft, dass die Leute mitsingen?

Unser Ziel lautet schon, dass am Ende alle im Raum gesungen haben. Generell ist es ja so, dass in guten Kneipen immer mitgesungen wird, wenn die Jukebox oder Livemusik erklingt. Allerdings erlebe ich das immer nur auf Reisen oder wenn ich wandern gehe und in eine Alpenhütte komme. In Berliner Läden läuft ja gern mal Elektro: Dazu lässt es sich nicht so gut singen.

Es ist jetzt zwei Jahre her, dass sich Virginia Jetzt! aufgelöst haben, unter anderem weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Band schwieriger wurden. Halten Sie die Entscheidung aus heutiger Sicht immer noch richtig?

Auf jeden Fall. Natürlich hatten wir eine ganz tolle Zeit und es gibt nach wie vor nichts Besseres, als in einer Band zu spielen, wenn man zwischen 20 und 30 ist. Aber Popmusik hat seine Zeit und Popmusikmachen ebenso.

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