Bürger, lasst das Glotzen sein

PROTEST Für eine gerechtere Verteilung von Reichtum gingen am Samstag rund 5.000 Menschen in Berlin auf die Straße. Die Veranstalter zeigten sich damit zufrieden – viele Teilnehmer hätten sich jedoch deutlich mehr Interesse erhofft

„Das war heute ein netter Spaziergang, mehr nicht“

J. MÜLLER, DEMONSTRANT

VON ANNA KLÖPPER

Die Kundgebung des bundesweiten Aktionstags für eine gerechtere Verteilung von Reichtum auf dem Alex startete am Samstag pünktlich um 14 Uhr – und das ist eigentlich kein gutes Zeichen. Denn: Je mehr Leute unterwegs sind, desto mehr hinkt die Organisation einer Demo meist ihrem Zeitplan hinterher.

Es war denn auch ein ziemlich überschaubarer Haufen von rund 5.000 DemonstrantInnen, der sich da vor dem Roten Rathaus versammelt hatte, aufgerufen von der Initiative „Umfairteilen – Reichtum besteuern“. Da standen Gewerkschafter neben ein paar Studenten mit Fahnen der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, die Globalisierungskritiker von Attac waren da, Familien, Rentner.

Das Bündnis Umfairteilen fordert eine Vermögensabgabe für Reiche mit einem Privatvermögen ab 1 Million Euro, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und härtere Konsequenzen bei Steuerflucht. 300 Organisationen sind bundesweit an Umfairteilen beteiligt, darunter Sozialverbände, die Naturfreunde Deutschland, Attac, das Kampagnennetzwerk Campact und die Parteien bis auf schwarz und gelb.

Berlin war neben Hamburg, Frankfurt am Main, Köln und Bochum eine von fünf Schwerpunktstädten, in denen am Samstag Demos und Kundgebungen stattfanden. Insgesamt 40.000 Menschen in 40 Städten hatte Umfairteilen mobilisieren können. Vor drei Monaten hatte sich die zivilgesellschaftliche Initiative gebildet, der Aktionstag am Wochenende sollte eine Reaktion auf den jüngst veröffentlichten diesjährigen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sein. Laut Bericht besitzen 10 Prozent der Bevölkerung satte 63 Prozent des Nettoprivatvermögens in Deutschland – die untere Hälfte der Haushalte jedoch gerade mal 1 Prozent.

In Berlin hatte man sich um elf Uhr auf dem Potsdamer Platz getroffen und war dann gemeinsam bis zum Fernsehturm marschiert. „Ein bisschen enttäuschend“, fand Rentner Eberhard Radczuweit das Interesse an dem Aktionstag. „Das müssten doch viel mehr sein!“ Er habe, sagte er dann lächelnd, bei der Demo einen Spruch vermisst, den er als Student in den 60ern immer gehört habe: „Bürger, lasst das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein!“

„Für eine offene Gesellschaft – ohne Zäune!“, skandierte es derweil tapfer von der Rednerbühne – und natürlich: „Um-ver-tei-len!“ Der bunte Haufen vor der Bühne sprach artig hinterher und klatschte dabei ein wenig mit den Pappen, die zuvor verteilt wurden. Als Ursula Engelen-Kefer vom Sozialverband Deutschland (SoVD) mit heiserer Stimme nach einem „Spitzensteuersatz von 58 Prozent, mindestens“ verlangte, hörte man sogar die ersten Ratschen. „Hätte Deutschland eine Vermögenssteuer, hätten wir auch keine Finanzierungsprobleme, etwa für eine gerechte Rente, und einen angemessenen Hartz-IV-Satz!“, legte Engelen-Kefer nach. Die Menge lebte ein wenig auf, es ratschte und klatschte, die zahlreich vertretenen RentnerInnen nickten bedächtig.

Als um 14.30 Uhr die bundesweiten Teilnehmerzahlen bekannt gegeben wurden, hörte man es unter den DemonstrantInnen hier und da leise murren: „Das ist ja mal nicht gerade viel!“, war der allgemeine Tenor. Demonstrant Justus Müller ist enttäuscht. „Das war heute ein netter Spaziergang, mehr nicht. Die Proteste sind zahnlos – und dann laufen hier auch noch Parteien mit, die die Misere mit zu verantworten haben.“

Die OrganisatorInnen indes sind zufrieden. Christoph Bautz von Campact und einer der lokalen Koordinatoren in Berlin bilanziert: „Es ist ein deutliches Signal an die Politik – und es ist ja erst der Auftakt. Erinnern Sie sich mal an die Anti-Atomkraft-Bewegung: Da waren es zu Anfang auch bloß 10.000 Leute und irgendwann dann 100.000.“ Er sieht die Bandbreite des Bündnisses zudem als gerade positiv: „Gesellschaft verändert sich in Schritten. Und wenn man sieht, dass zum Beispiel nach Fukushima hier in Deutschland tatsächlich Reaktoren abgestellt wurden, dann sieht man: Protestieren bringt was!“

Frauke Distelrath, Sprecherin von Attac Deutschland, sieht das ähnlich: „Unsere Erwartungen haben sich erfüllt. Wir wollten mehrere zehntausend erreichen, und das haben wir heute geschafft.“ Natürlich müsse man nun weiter Druck machen, um die Bewegung langfristig zu etablieren, aber: „Das Thema ist gesetzt. Die Dynamik ist da, die Strukturen sind geschaffen.“

Um 15 Uhr werden zu Punkrock der Band Auch gut! die ersten Dosenbiere geöffnet, die Familien mit Kindern und SPD-Luftballons trollen sich zum großen Springbrunnen nebenan. Justus Müller rollt seine antikapitalistische Fahne ein: keine Revolution heute, nirgends.