Interview: Debattier-WM: "Smalltalk ist schwierig für mich"

Die 26-Jährige Dessislava Kirova ist Vizeweltmeisterin im Hochschuldebattieren und organisiert die Weltmeisterschaft, die am Donnerstag an der TU Berlin beginnt.

Wladislaw Jachtschenko (r.) und Marco Witzmann vertreten den Münchner Debattier-Club bei der WM in Berlin. Bild: DAPD

taz: Frau Kirova, worüber spricht man in einem Debattierclub?

Dessislava Kirova: Über unterschiedlichste Themen. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, auch Philosophisches und Moralisches. Sollte das Inzestverbot aufgehoben werden? Sollte die internationale Gemeinschaft in Syrien militärisch eingreifen? Sollte Abtreibung komplett verboten werden? Ich selbst debattiere am liebsten über moralische Themen. Solche, die sich um die grundlegenden Fragen unseres Zusammenlebens drehen.

Wie muss man sich ein Debattierturnier vorstellen?

26, ist in Bulgarien geboren und kam im Alter von acht Jahren nach Berlin. Sie studiert Anglistik und Italianistik an der Universität Potsdam und debattiert seit 2006, unter anderem bei Wettbewerben auf den Philippinen und in Botswana. Die Vizeweltmeisterin im Hochschuldebattieren war zwei Jahre lang Präsidentin des Berliner Debattierclubs "Berlin Debating Union", nun organisiert sie die Weltmeisterschaft in Berlin mit.

Am Anfang wird jedem eine Position zugelost. Dann weiß man erst, ob man die Pro- oder die Contra-Seite vertritt, also Regierung oder Opposition ist.

Es gibt eine Regierung?

In jeder Runde wird eine Regierung und eine Opposition bestimmt, beide Seiten bestehen aus zwei Zweierteams. Allerdings tritt jedes Team in einer Debatte gegen alle drei anderen Teams an, auch gegen die zweite Regierung auf der eigenen Seite.

Aha. Und dann?

Dann wird das Thema genannt, anschließend sind 15 Minuten Zeit für die Vorbereitung. In der Debatte steht man vor der Jury und bringt seine Argumente. Die beurteilt, wer die besseren Argumente hatte, wer konsistent durchargumentiert und sich am besten mit der Gegenseite auseinandergesetzt hat. Am Ende gibt es vier Platzierungen.

Sie müssen also eine bestimmte Zeit mit Argumenten füllen. Ist es Ihnen schon mal passiert, dass Ihnen einfach nichts mehr einfiel?

Schon ein paarmal. Aber irgendwie kriegt man die Zeit immer rum. Es gibt ja auch Zwischenfragen von der Gegenseite. Die will oft nochmal auf die eigenen Argumente verweisen und manchmal einfach die Redner aus dem Konzept bringen. Es ist auch kein Beinbruch, früher aufzuhören, das gibt nicht automatisch Punktabzüge. Aber wer weniger spricht, bei dem kann weniger bewertet werden.

Sie debattieren jetzt seit sechs Jahren. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich habe in einer Einführungsveranstaltung an der Uni vom Debattierclub gehört, bin hingegangen und geblieben. Wobei ich mich am Anfang gar nicht getraut habe, mitzudebattieren, sondern lange nur zugeschaut habe. Ich war immer ganz aufgeregt.

Inzwischen dreht sich bei Ihnen fast alles ums Debattieren: Sie reisen zu Wettbewerben, organisieren ehrenamtlich die WM im Hochschuldebattieren mit (WUDC). Bis vor kurzem waren Sie Präsidentin des Vereins „Berlin Debating Union“. Kostet das nicht jede Menge Zeit?

Bei der Vorbereitung der WUDC, zu der wir 1.100 Teilnehmer erwarten, leite ich die Teilnehmerbetreuung, dafür arbeite ich zwei volle Tage in der Woche ehrenamtlich. Und als Vereinspräsidentin muss man etwa zehn Stunden pro Woche investieren, zusätzlich zu den Turnieren und wöchentlichen Treffs.

Und warum machen Sie so viel?

Weil mir Debattieren einfach unheimlich viel Spaß macht. Und weil ich etwas zurückgeben wollte, indem ich Verantwortung übernehme. Außerdem habe ich durch das Debattieren und die Arbeit im Verein mindestens so viel gelernt wie in der Uni. Man trainiert, kritisch und analytisch zu denken.

Wie lange muss man debattieren, um an einer WM teilnehmen zu können?

Richtig intensiv habe ich 2008 angefangen, habe sehr viel gelesen und bin zu vielen Turnieren gefahren. Bei der EM im vergangenen Jahr sind wir im Viertelfinale ausgeschieden, das war sehr frustrierend.

Warum hat es nicht zum Titel gereicht?

Ich glaube, es lag an der Aufregung. Ich wusste überhaupt nicht, was die andere Seite gesagt hatte. Und das Wichtige ist, dass man erst die Argumente der anderen widerlegt, bevor man seine eigenen bringt.

Wie bereiten Sie sich auf einen Wettkampf vor?

Oft beziehen sich die Fragestellungen auf Themen, die gerade viel in den Medien sind. Da kann man aber auch danebenliegen. Für die Weltmeisterschaft etwa haben wir uns stark auf den Syrienkonflikt vorbereitet, der kam dann aber gar nicht dran.

Solche Themen sind ja ziemlich kompliziert.

Ja, man hat auch oft Schwachstellen. Nicht alles interessiert einen, und man versteht auch nicht alles. Zeitungen bieten gute Analysen, aber wenn man sich auf einen Wettkampf vorbereitet, muss man noch mehr lesen. Und trotzdem kommt es vor, dass man ein Thema bekommt, bei dem man sich denkt: Ich verstehe gar nicht, wo hier das Problem ist.

Was machen Sie dann?

Es gibt dann drei Möglichkeiten: Ich hoffe, dass meine Partnerin etwas weiß und einspringt. Wenn die auch nichts weiß, hoffe ich, dass wir nicht die Debatte eröffnen müssen. Ansonsten: einfach drauflosreden! Es sind ja keine komplett obskuren Themen, die man da bekommt. Oft weiß man mehr, als man denkt.

Man muss oft auch gegen die eigenen Überzeugungen debattieren. Wie findet man da Argumente?

Beim ersten Mal fällt es schwer, aber man zwingt sich einfach dazu, über die Gegenseite nachzudenken. Man sieht dadurch die eigene Meinung kritischer und lernt, die andere Seite zu verstehen. Man merkt, dass man die meisten Fragen nicht einfach schwarz-weiß sehen kann.

Ihre Muttersprache ist Bulgarisch. In welcher Sprache debattieren Sie am liebsten?

Eindeutig auf Englisch. Deutsch wäre einfacher, aber auf Englisch macht es mehr Spaß. Man verbessert seine Sprachkenntnisse beim Debattieren unheimlich.

Debattieren wird manchmal als Nerd-Sport abgestempelt – als Sport intelligenter, aber sozial unbeholfener Menschen. Sind Sie ein Nerd?

Nein, sozial unbeholfen sind Debattierer nicht, sie sind sogar sehr kommunikativ. Es kommt aber vor, dass man irgendwann auch privat über die Themen redet, über die man debattiert. Man gewöhnt sich an, über hochkomplexe Themen wie den Internationalen Gerichtshof oder die Todesstrafe zu reden. Wenn man dann mit anderen Menschen spricht, ist es manchmal nicht so einfach, über Alltagsthemen zu sprechen. Smalltalk ist für mich schwierig. Ich weiß, wie das funktioniert und kriege das auch hin, aber es langweilt mich ein bisschen.

Was kommt nach dem Studium?

Nach meinem Magister im kommenden Jahr will ich promovieren. Was danach kommt, weiß ich noch nicht.

Denken Sie, dass Ihnen das Debattieren eine bessere berufliche Perspektive bietet?

Auf jeden Fall bin ich dadurch viel stärker qualifiziert. Wenn ich erzähle, was ich mache, sind die meisten Menschen beeindruckt.

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