„Wir waren frei und wild“

DIE MODEMACHERIN Claudia Skoda lebte mit Martin Kippenberger zusammen und kleidete David Bowie ein. Ihre avantgardistischen Strickkleider verkauft sie heute in Mitte – auch wenn sie den Stadtteil inzwischen „ein bisschen spießbürgerlich“ findet

■ Die Frau: 1943 in Schmargendorf als Tochter einer Schneiderfamilie geboren. In den 70ern zieht sie nach Kreuzberg. Die Verlagslektorin schneidert nebenher für ihre Künstlerfreunde, mit denen sie eine Fabriketage in der Zossener Straße bewohnt. Zu ihren Mitbewohnern gehört der Künstler Martin Kippenberger, in der „Fabrikneu“ gehen Iggy Pop, David Bowie und Gudrun Gut ein und aus. 1973 bringt sich Skoda selbst das Stricken bei, experimentiert mit halbautomatischen Stricktechniken und ist seitdem Modemacherin. In den Achtzigern eröffnet sie einen Laden in New York, Anfang der Neunziger einen am Ku’damm. Nach Mitte ging sie erst viel später.

■ Die Kleider: Claudia Skodas Kleider sind aus einem Stück gefertigt. Extravagant ist nicht nur die Technik, sondern auch das verwendete Material: transparentes Industriegarn, dehnbares Lurex, Wolle mit glänzender Optik. Skodas Markenzeichen sind wilde geometrische Muster, eng anliegende Silhouetten und Knallfarben. Zu ihren Fans gehören Prominente wie Milla Jovovich oder Ridley Scott.

■ Das Jubiläum: Am 25. Oktober feiert das Label Claudia Skoda sein 50-jähriges Bestehen in der Kunsthalle Duderstadt, wo derzeit eine Martin-Kippenberger-Retrospektive gezeigt wird. Skoda zeigt dabei eins ihrer „Dressater“-Spektakel mit Berliner DJs und einem Nachbau der Paris Bar. Mehr Informationen unter claudiaskoda.com

INTERVIEW NINA APIN
FOTOS LIA DARJES

taz: Frau Skoda, Sie sind eine Pionierin der deutschen Modeszene: Schon in den 70ern entwarfen Sie glamouröse Strickkleider, David Bowie trug Ihre Sachen. Weiß das junge Shopping-Publikum, das hier in Mitte in Ihren Laden kommt, wer Sie sind?

Claudia Skoda: Nein, die junge Generation kennt mich nicht mehr. In den 70er und 80er Jahren waren wir sehr bekannt – damals haben viele von denen noch nicht gelebt. Wir sind heute vor allem Impulsgeber, ein Experimentierlabor. Wir machen Sachen, die der Markt nicht hergibt. Die modernen Strickmaschinen sind zwar unglaublich vielseitig und können sehr hohe Stückzahlen produzieren– wir setzen dagegen auf Handarbeit.

Ihre Strickmode ist nicht ganz billig – ein Pullover kostet um die 400 Euro. Wer sind Ihre Stammkunden?

Das sind Leute, die das Individuelle suchen, die sich anders kleiden wollen als die Masse. Die aber auch nicht so Label-fixiert sind. Mich in die Reihen großer Kollektionsfirmen wie Jil Sander oder Strenesse einzureihen, ist nie meine Absicht gewesen. Ich wollte nie Massenprodukte herstellen. Ich arbeite auch nicht wie andere Firmen mit Angestellten, die sich beworben haben. Mein kleines Team ergibt sich aus dem erweiterten Bekanntenkreis. Mir war immer wichtig, dass der Schaffensprozess vor allem Spaß macht – für alle. Ich habe bis heute Strickerinnen, die in Heimarbeit für mich produzieren, und zwei Subunternehmen. Die haben ein sehr spezielles Know-how und begleiten mich schon lange. Ich hatte mir ja als Autodidaktin das Stricken selbst beigebracht. Ich färbte und webte mir eigene Garne, baute Strickmaschinen für meine Bedürfnisse um. Mit denen kann nicht jeder arbeiten.

Wie familiär es in Ihren Anfängen zuging, konnte man kürzlich bei der Martin-Kippenberger-Ausstellung im Hamburger Bahnhof sehen: Kippenberger schoss 1977 unzählige Fotos von Ihrer Lebensgemeinschaft in der Zossener Straße und dokumentierte die Entstehung einer Skoda-Modenschau. Kippenbergers Bodeninstallation ist heute legendär – wie erinnern Sie sich an die Zeit?

An dem Kippenberger-Mosaik, das übrigens lange den Boden unserer Fabriketage zierte, kann man sehen, wie wir gearbeitet haben: völlig frei und wild, gar nicht marktbezogen. Wir lebten in einer Kommune, in der jeder einen künstlerischen Beruf hatte: Klaus Brüger war Schlagzeuger bei Tangerine Dream, später bei Iggy Pop. Jenny Kapitän wurde Muse von Helmut Newton, Angelique Riemer malte, mein damaliger Mann Jürgen Skoda war Bildhauer, Reinhard Bock drehte Super-8-Filme. Das war der feste Kern. Dazu hatten wir immer Besucher oder temporäre Bewohner. Das Haus war offen, die Leute kamen vorbei, und wenn man sich gut verstand, blieben sie. Man machte Projekte zusammen, ging wieder auseinander – es ging locker und familiär zu. Mit den „Jungen Wilden“ am Moritzplatz und den Gründern des SO 36 waren wir befreundet. Kippenberger war zu der Zeit ein neidischer Beobachter dieser Szene, zu der er nicht gehörte. Er war damals ja noch kein etablierter Künstler.

Die Kreuzberger Hausbesetzer reagierten damals ziemlich unfreundlich auf die Künstler und ihr Domizil, das SO 36. Man warf Farbbeutel und verprügelte Besucher. Wie haben Sie das erlebt?

Ich hatte mit dieser Besetzerszene gar nichts zu tun. Das waren ja keine Künstler. Und wir keine Besetzer – für unsere Fabriketage zahlten wir natürlich Miete. Meine aktive Polit-Zeit war nach 1970 vorbei, ich fühlte mich eher dem künstlerischen Underground zugehörig.

Sie fuhren 1972 mit Ihrer ersten Kollektion im Gepäck nach München zu den Olympischen Spielen und verkauften Ihre Kleider an arrivierte Damen. Mussten Sie sich von der Szene keine Kommerz-Vorwürfe anhören?

Nö. Ich habe aber auch niemanden gefragt. Ich produzierte ganz viele Kleider und verkaufte sie an zwei Läden in München. Das lief so gut, dass ich im nächsten Jahr nach Südfrankreich bin: Ich wollte gezielt an reiche Yachtbesitzer und ihre Damen verkaufen. Mit zwei Freundinnen und einem Freund aus der WG lief ich an der Promenade entlang. Die Kleider glitzerten im Sonnenlicht, und wenn uns Leute ansprachen, sagten wir: „Könnt ihr kaufen.“ Und das taten sie: In Monte Carlo fingen die Frauen mitten auf der Straße an, sich die Kleider anzuziehen!

Wie sahen denn diese Sachen aus?

Das waren fließende Kleider mit Farbverläufen aus hauchdünnem Strick. Bunt, glitzernd, etwas gipsymäßig – so etwas kannte man bis dato nicht. Über Barcelona zogen wir damit weiter nach Ibiza und veranstalteten mit dort ansässigen Künstlern zusammen eine Modenschau. Dabei lernten wir Martin Kippenberger kennen und waren sofort auf einer Wellenlänge. Er drehte mit einer billigen Kaufhaus-Kamera einen kleinen Film über die Vorbereitungen zur Modenschau. Der ist demnächst auf der Ausstellung zu unserem Jubiläum in Duderstadt zu sehen. Zusammen mit dem berühmten Bodenmosaik.

Wer hat Ihre Mode in Berlin gekauft? Die Stücke waren mit über 1.000 Mark für ein Kleid recht teuer und auch exzentrisch. Für die Wilmersdorfer Witwen war das wohl eher nichts.

Es gab in Westberlin durchaus Frauen, die das Geld hatten und etwas flippiger aussehen wollten. Unsere Sachen waren zwar gewagt, aber eben auch super sexy und feminin.

Zu welchen Gelegenheiten konnte man in Berlin so etwas überhaupt tragen?

Die Berliner Modeszene spielte sich im Nachtleben ab, in den Clubs, Studentenkneipen, Galerien: Da machte man sich groß zurecht – und das auf sehr kreative Weise. Tagsüber sah man davon nichts, da war es eine langweilige Stadt mit gesellschaftlichen Anlässen wie Strandbad und Sechstagerennen. Es gab trotzdem eine kleine Couture-Szene in Berlin. Das bekannte Modekaufhaus Horn am Ku’damm hat tatsächlich eine Saison lang meine Kleider verkauft. Der Einkäufer durfte danach nichts mehr bei mir bestellen, weil in Horns eigener Abendkleiderabteilung alles hängen blieb – meine Kleider waren viel progressiver. Eigentlich habe ich ja mit Anzügen für Männer angefangen, aber der Renner waren dann doch die Frauenkleider.

Und das, obwohl prominente Männer wie David Bowie und Iggy Pop Skoda trugen.

Iggy Pop suchte sich immer mal was Fetziges für seine Bühnenauftritte raus, das wir für ihn dann zerrissen haben. Und auch Bowie trug gern Einzelstücke. Er sagte immer: Was du machst, ist zu glamourös für Berlin. Du musst nach New York. Bowie wusste, dass ich auf keinen Fall nach Paris wollte, obwohl ich dort viele Kunden hatte. Aber dort hätte ich mich den Regeln des etablierten Modebetriebs beugen müssen. Dazu war ich nicht bereit.

Haben Sie eigentlich niemals die Versuchung verspürt, auf dem großen Markt durchzustarten?

Dafür hätte man ein richtiges Management gebraucht und auch eine größere Fertigungsabteilung. Ich produzierte lieber mit Heimarbeitern. Und es ging mir grundsätzlich gegen den Strich, von einem Modell mehr als fünf Stück zu verkaufen, ich wollte das nicht an 200 Frauen sehen. Lieber habe ich also in New York einen Laden eröffnet und pendelte zwischen beiden Städten. Meine Produktion blieb hier.

Sie waren zuvor Lektorin, aber dann haben Sie sich begeistert in die Welt der Mode geworfen. Hat das damit zu tun, dass Sie aus einer Schneiderfamilie kommen?

Eher im Gegenteil. Diese Tradition hat mich eher abgeschreckt. Schon mein Großvater hatte eine große Maßschneiderei mit Werkstätten im Berliner Umland. Nach dem Krieg hatten mein Vater und meine Stiefmutter in Steglitz ein Geschäft, in der Nähe vom Titaniapalast, das damals ein Revuetheater war. Die ganzen Stars kamen und ließen sich von meiner Stiefmutter Kostüme nähen. Als Kind hockte ich dazwischen und dachte: Nie in meinem Leben will ich damit was zu tun haben. Ich sah meine Eltern ja immer nur arbeiten, Tag und Nacht.

Haben Sie jetzt kürzere Arbeitszeiten?

Ich kann jedenfalls freier arbeiten als meine Eltern. Trotzdem habe ich auch lange Tage: Neben dem eigentlichen Produkt kümmere ich mich um die Vermarktung, das Kaufmännische. Ich führe das Geschäft mehr oder weniger alleine. Meine Stärken liegen allerdings eindeutig im Kreativbereich. Ich wünsche mir schon jemanden, der mir die andere Arbeit abnimmt. Aber bisher habe ich das noch nicht geschafft.

Als Berlin 1988 Europäische Kulturhauptstadt wurde, beauftragte Sie der Senat mit der Organisation einer Gala. Sie nahmen an und blieben dann dauerhaft hier. Warum?

Man hatte mich gefragt, weil meine Modenschauen anders waren als die herkömmlichen Laufsteg-Shows: Es waren Spektakel mit Musik, Tanz, Schauspiel und Kunst, die ich selbst konzipierte und durchführte. Dafür hatte ich mir den Markennamen „Dressater“ schützen lassen. Die eigentliche Modenschau stand unter dem Motto „Dress to thrill“, dafür hatte ich acht verschiedene Designer eingeladen. Vivienne Westwood aus London, die anderen kamen aus Los Angeles, Irland, Ungarn, Japan, Frankreich. Alle, die in dieser Zeit außergewöhnliche Sachen machten, steuerten eine Kollektion bei. Der drei Meter breite Laufsteg war aus Kruppstahl und hing an einem Seil von der Decke, entworfen vom Architekten Hans Kollhoff. Die Musik schrieb Steven Brown von Tuxedo Moon. All das war möglich, weil es einen üppigen Etat gab. Das machte richtig Spaß. Als Avantgarde-Designerin musste man sonst meist low budget arbeiten.

„Iggy Pop suchte sich immer mal was Fetziges für seine Auftritte raus, das wir für ihn dann zerrissen haben“

1988 war eine politische Zeit: Linksalternative besetzten das Lenné-Dreieck und organisierten Widerstand gegen die IWF-Tagung. Auch gegen das Label „Kulturhauptstadt“ gab es Proteste. Wie fühlte sich das als Senatsbeauftragte an?

Es gab eine Menge Neider, auch aus der Modeszene. Dieses Kleinliche und Missgünstige, das nervte total! Eigentlich wollte ich sofort wieder nach New York zurück, bekam dann aber zwei tolle Folgeaufträge, bei denen ich das Dressater weiterführen konnte. Für eine Dienstleistungsbörse und auf der Funkausstellung. Ich mochte das. Dann aber fiel die Mauer und mit der Förderung war Schluss. Die Senatsverwaltungen hatten plötzlich andere Aufgaben, die mussten Volksbibliotheken für Ostberlin bauen. Es gab also nur einen Weg: mich als Berliner Modedesignerin mit einem Laden präsentieren. New York kam nicht mehr in Frage: Für mich war die Maueröffnung ein großartiges Ereignis – ich konnte es kaum erwarten, rüberzugehen und mir alles anzugucken. Schließlich hatte ich noch Erinnerungen an die Zeit vor dem Mauerbau.

Ihr erstes Berliner Geschäft haben Sie auf dem Kurfürstendamm eröffnet. Warum sind Sie nicht gleich in den Osten?

1991 war das noch Brachland, ich hätte dort nichts verkauft. Ich ging erst mal an den Ku’damm und ließ mir den gesamten Laden von dem Designer Marc Newson gestalten. Er sah aus wie ein Raumschiff und lockte Architekturstudenten aus aller Welt an. Nach zehn Jahren war dann die Zeit endlich reif für Mitte. Das war wie ein Umzug von einer Stadt in die andere. Ich hatte zunächst Werkstatt und Laden in der Linienstraße. Das war irre, was da alles los war, wie sich alles beinahe täglich veränderte. Zwei Jahre später zog ich nochmal um in die Alte Schönhauser Straße. Ich hatte Werkstatt und Laden in einem Haus, später wohnte ich auch da. Die Nachbarn waren toll, jeder Laden war besonders: Die Architekturbuchhandlung Pro Quadratmeter, die Designer von Elternhaus, der Modellhut, später Monsieur Wong. Dann nahm die Entwicklung ihren Lauf. Inzwischen ist es dort fast wie in der Wilmersdorfer Straße, ein bisschen spießbürgerlich.

Sind Sie deshalb in die Mulackstraße umgezogen?

Nein, das lag vor allem daran, dass die Miete in der Alten Schönhauser um fast das Dreifache gestiegen war. Dort verdrängen jetzt die großen Ketten die designergeführten Läden – es ist der ewig gleiche Prozess, wie ich ihn bereits in Kreuzberg und New York erlebt habe. Ich war damals vor Boss da und habe geholfen, die Gegend hip zu machen. Aber so ist das halt.

Sie verstehen sich als Impulsgeberin für die Modeszene. Besteht da nicht die Gefahr, dass jemand Ihre Entwürfe klaut und sie als Industriestrick billig verkauft?

Das passiert andauernd. Gerade mir, die ich mitgeholfen habe, den Strick als Thema in der Mode zu etablieren. Vorher waren Strickteile nur Accessoires. Jetzt kann man sie aus keiner Designerkollektion wegdenken. Immer wieder kommen mir Stücke dann allzu bekannt vor: Kürzlich habe ich bei der Männershow von Etro sogar eine Originalhose von mir gesehen – die war vorher bei mir im Laden gekauft worden. Klar ist das dreist, aber es bringt wenig, sich darüber aufzuregen. Ich versuche es positiv zu sehen: Meine Entwürfe finden Anklang!

Das klingt sehr entspannt – nervt es Sie denn nicht, wenn andere Ihre Ideen zu Geld machen?

Ach, ich habe in den Neunzigern und nuller Jahren auch schon Kollektionen für andere gemacht, für Marccain oder Joop, das hatte auch seinen Reiz. Skurril wurde es allerdings, als ich für das Berliner Label Zappa Strickkollektionen in Hongkong machen sollte. Da hingen in der Agentur Strickmodelle aus aller Welt, die es nachzumachen galt. Darunter Stücke von mir – ich wurde dafür bezahlt, dass ich mich selbst kopierte. Lustig, nicht?