„Prenzlauer Berg wird ein Rentnergetto sein“

DER DICHTER Bert Papenfuß-Gorek, in jungen Jahren Bausoldat bei der NVA, hat die Subkultur in Prenzlauer Berg mitgeprägt: Als Autor anarchischer Lyrik, als Mitbetreiber des Kaffee Burger, als Kneipier für den renitenten Rest der Bewohner seines Kiezes. Er beklagt den Untergang der letzten alternativen Inseln in seiner Umgebung – und hofft, dass die Gören der Spießer irgendwann wieder revolutionärer werden

■ Der Dichter Bert Papenfuß-Gorek, geboren 1956 im Mecklenburgischen Stavenhagen, war Elektronikfacharbeiter, Ton- und Beleuchtungstechniker und Bausoldat bei der NVA. Seit 1980 lebt er als freischaffender Autor in Ostberlin. Er galt mit Stefan Döring, Sascha Anderson, Jan Faktor und Andreas Koziol als einer der bedeutendsten Protagonisten der alternativen Künstlerszene in Prenzlauer Berg. Er veröffentlichte Untergrundpublikationen, spielte in Rockgruppen oder trug seine Texte in Begleitung von Rock- oder Punkbands vor. Seine frühe Lyrik, die er in der DDR nur begrenzt publizieren konnte, gilt als Paradebeispiel für eine späte DDR-Literatur, die sich völlig außerhalb des Literaturbetriebs abspielte und kaum mehr reglementieren ließ. Seine Gedichte glänzen bis heute durch eigenwillige Orthografie, provozierende Assoziationen, stecken voll Piraterie, Anarchie, Angriffslust und Sprachkritik.

■ Der Wirt 1999 bis 2009 war Bert Papenfuß-Gorek Mitbetreiber des Kaffee Burger. Seit 2010 betreibt er in der Metzer Straße in Prenzlauer Berg seine Kulturspelunke Rumbalotte continua für „die letzten Renitenten in Prenzlauer Berg“.

■ Die Demo Am 13. April findet eine Demo gegen die Verdrängung der letzten alternativen Kulturstandorte in Mitte und Prenzlauer Berg statt – betroffen sind das letzte besetzte Haus in Mitte in der Linienstraße 206, der Jugendclub Kirche von Unten und die Kultur- und Schankwirtschaft Baiz. Die Demo beginnt um 17 Uhr in der Linienstraße 206. (sm)

INTERVIEW SUSANNE MESSMER
FOTOS PIERO CHIUSSI

taz: Herr Papenfuß-Gorek, wollen wir gleich anfangen?

Bert Papenfuß-Gorek: Zuerst müssen Sie mal dieses Getränk probieren. Das ist neu, hat gerade so ein Vertreter einer Getränkefirma vorbeigebracht, ein Freund meiner Tochter. Ist Kwas, dieses Zeug, das aus vergorenem Brot hergestellt wird. In Russland verkaufen die das auf der Straße.

Na gut …

Und?

Schmeckt interessant. Aber nun zur ersten Frage: Warum sind Sie immer noch hier in Prenzlauer Berg?

Ich bin ja kaum noch hier! Ich wohne schon seit zwei Jahren in Weißensee. Meine Frau wohnte dort schon länger. Da ist es cooler als hier, es gibt sogar alte Leute und Prolls.

Ihre Kneipe, die Rumbalotte continua, ist aber immer noch in Prenzlauer Berg. Warum?

Prenzlauer Berg garantiert mir das Maß an Unzufriedenheit, das ich brauche. Außerdem muss es eine Kneipe für den renitenten Rest geben, der hier noch wohnt. Unsere Stammgäste, die Leute im Umfeld der sogenannten Prenzlauer Berg Connection, die noch nicht weggezogen oder gestorben sind – die kommen ja noch. Die brauchen schließlich auch noch einen Ort, an den sie gehen können.

Kommen hier nur Ossis jenseits der fünfzig?

Nicht nur. Es ist oft gar nicht mehr so wichtig, ob man Ossi ist oder Wessi, sondern eher, ob man renitent ist oder nicht.

Ihre Kneipe ist einer der letzten Orte für Alternativkultur in diesem Kiez, und nun sind konkret drei dieser Orte in Ihrem Umfeld bedroht: Das letzte besetzte Haus der Gegend in der Linienstraße 206, der Jugendkulturclub Kirche von Unten und die Kultur- und Schankwirtschaft Baiz. Schlimm?

Sehr schlimm. Ich war Stammgast in der Baiz und habe dort den Gästerat gegründet, wo wir Forderungen stellten wie zum Beispiel das Anbringen neuer Steckdosen. Die wurden dann auch alle erfüllt. Es ging darum, die Interessen der Gäste gegenüber der Wirtschaft zu vertreten. Die Baiz ist ein guter Laden. Es ist ein Elend!

Was wird aus dem Kiez?

Die Gegend ist jetzt schon völlig verspießert, durch die ganzen Eltern, es wird immer toter. Eines Tages wird das hier ein einziges Rentnergetto sein. Ich hoffe nur auf die vielen Gören: Dass die irgendwann groß werden und vielleicht, mit etwas Glück, auch mal das ein oder das andere kulturelle Bedürfnis entwickeln.

Ein Mann mit langen, grauen Haaren und Nickelbrille betritt die Kneipe, packt ein paar Linsenkonserven aus und stellt sie auf die hinteren Tische. Es ist Egon Kenner, Gitarrist der Bluesgruppe Freygang, die sich 1977 in Ostberlin gründete – die Ton Steine Scherben der DDR. Er setzt sich zu uns an den Tresen, bestellt sich ein „Tschechenbier“ und erzählt davon, dass er 20 Jahre lang in einer windschiefen Altbauwohnung am Wasserturm gegenüber wohnte – und jetzt in einer topmodernen Genossenschaftswohnung in Pankow: Alles weiß, alles gerade, mit Fußbodenheizung und einem Klo, das sich selbst reinigt.

Wir waren bei den letzten Inseln in Prenzlauer Berg. Was bleibt denn noch?

Da muss ich mal scharf nachdenken. Gerade hat mein Lieblingsplattenladen dichtgemacht, das Freak Out. Da konnte man stundenlang Bier trinken und rauchen und den musikwissenschaftlichen Vorträgen des Besitzers lauschen. Dann gibt es noch die Staatsgalerie von meinem Freund Henryk Gericke in den Greifswalder Straße. Der hat diese Ausstellung über Ostpunk gemacht. Und dann gab es die Kneipe Pieper, früher Lampion, die sind schon wieder umgezogen und haben jetzt, glaube ich, gar keinen Namen mehr. Die hatten auch ein eingeschworenes Stammpublikum, das ist aber älter als unseres. Die sind in den Vierzigern geboren, die Prenzlauer Berg Connection in den Fünfzigern. Die hören Jazz, Blues und stundenlang Tom Waits.

Welche Musik spielen Sie?

Bei uns geht es eher um schräge Kultur und Rockmusik – ich mag zum Beispiel die Melvins.

Können Sie von der Kneipe leben?

Wir können hier die Miete zahlen. Die schaffen wir gerade noch so, wenn sie auch immer höher wird. Die Miete zu Hause können wir mit der Rumbalotte allerdings nicht mehr zahlen. Da muss man also mit Lyrik noch einiges hinzuverdienen (lacht).

Es lief doch ökonomisch sicher besser, als Sie noch beim Kaffee Burger mitgemacht haben, oder nicht?

Anfangs auch nicht. Später ging es dann.

Warum sind Sie ausgestiegen?

Was mich am Burger interessiert hat, war das Kulturprogramm, das ich da machen wollte. Aber das wurde dort immer mehr zum fünften Rad am Wagen, weil das Geld eher über die Touristen reinkam und über die sehr erfolgreiche Russendisko natürlich. Also haben wir uns in Frieden und Freundschaft getrennt. Ich ließ mich auszahlen.

Machen Sie in der Rumbalotte auch wieder Kulturprogramm?

Ich mache nach wie vor sporadisch Veranstaltungen, aber für Konzerte würde man in einer Kneipe in einem Wohnhaus heute ja gar keine Lizenz mehr bekommen. Dafür mache ich Lesungen, hin und wieder zeigen wir einen Film. Dann haben wir oben noch ein Buchregal, man kann unsere Bücher kaufen.

Sie waren einer der bekanntesten Dichter der Prenzlauer Berg Connection, Ihre Gedichte wurden in Germanistikseminaren gelesen. Es gibt sogar jüngere Autoren und Fans, die erzählen, sie hätten Ende der Achtziger in der DDR Ihre Gedichte im Deutschunterricht vorgestellt, um zu schockieren. Aber in letzter Zeit hört man weniger von Ihnen. Sind Sie jetzt eher Kneipier als Dichter?

Bis Ende der Neunziger habe ich noch viele Stipendien bekommen. Aber das habe ich hinter mir. Ich wollte das dann nicht mehr, weil ich zu abhängig wurde. Und Abhängigkeiten sind gar nicht gut für einen freien Autor. Man muss sich mit so vielen Leuten gut stellen, die einen eigentlich gar nicht interessieren. Auch diese herkömmlichen Veranstaltungen in den Literaturhäusern interessieren mich gar nicht, diese offiziellen Begängnisse, das ist mir alles zu langweilig. Ich bin da also ausgestiegen. Und das hat mir gutgetan.

Das klingt, als hätte sich der Literaturbetrieb der DDR von dem heutigen gar nicht so sehr unterschieden.

Es war alles restriktiver. Aber im Prinzip gab es ganz ähnliche Abhängigkeiten, ja.

Es heißt ja immer, die Wende sei der große Bruch für Ihre Generation gewesen. Aber eigentlich klingt das jetzt alles so, als hätten Sie nur die Unzufriedenheiten und die Nischen gewechselt, so als hätte sich für Sie gar nicht so viel geändert, oder?

Nein, eigentlich ist wirklich vieles ähnlich geblieben.

Und stört die Knochenarbeit in der Kneipe nicht auch manchmal beim Dichten?

Nein, die Kneipe ermöglicht mir einen freien Kopf. Außerdem stehe ich hier nur dreimal die Woche hinterm Tresen. Ich mache das ja gemeinsam mit meiner Frau, und wir beschäftigen auch noch Leute. Es bleibt also viel Zeit zum Dichten. Hin und wieder veröffentliche ich auch noch, aber nur in Kleinverlagen.

Wie finden Sie denn die Autoren der nächsten Generation, zum Beispiel die Autoren, die auf Lesebühnen auftreten?

Oft ist es mir zu kabarettistisch, was die machen. Zu albern, vielleicht auch ein bisschen seicht. Aber was heute Slam Poetry heißt, das hieß ja früher Social Beat. Das hat mir eigentlich schon immer ganz gut gefallen.

Lesen Sie sogenannte DDR-Literatur, auch neue?

Nein. Diese neuen Aufarbeitungen in den großen Wenderomanen, auf die angeblich alle gewartet haben – das ist vielleicht wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als diese ganzen Bewältigungsromane erschienen. Also: Das aktuelle Literaturgeschehen interessiert mich nicht. Eher verfolge ich, was die Kollegen noch so machen. Leute, die im Gegner veröffentlichen, im DreckSack oder im floppy myriapoda.

Im was?

Im floppy myriapoda, dem „Subkommando für die freie Assoziation“, einer Literaturzeitschrift von Kai Pohl, die unregelmäßig erscheint. Kai Pohl war früher Dreher, Heizer, Kraftfahrer und Bühnenmaler, heute ist er Künstler und Autor. Ein Mecklenburger wie ich.

Und der DreckSack?

Der DreckSack ist eine proletarische Lyrikzeitschrift in der Tradition von Charles Bukowski. Die erscheint auf einer Seite, ungefähr einmal im Jahr. Der Herausgeber ist Florian Günther. Der war, glaube ich, Totengräber, Anstreicher, Bauarbeiter, Pizzafahrer und Sänger der Ostberliner Punkband Klick & Aus.

Und die Zeitschrift Gegner haben Sie Ende der Neunziger mitgegründet, richtig?

Ja, aber mit dem Gegner ist es schwierig. Die Leute treffen sich oft hier in der Kneipe. Der Verlag vom Gegner ist ja BasisDruck, einer der ersten Ostberliner Verlage nach der Wende. Und der musste kürzlich aus den alten Räumen raus und hat noch keine neuen gefunden.

Ich wüsste gern noch, wie es zum Namen Ihrer Kneipe kam.

Das ist ein alter Seemannswitz.

Wie geht der?

Er handelt von einem Seemann, der ins Krankenhaus muss. Die alten Schwestern wundern sich, warum sich der Seemann das Wort „Rumbalotte“ auf den Penis tätowiert hat. Eines Tages versorgt ihn eine junge Schwester, die gar nicht versteht, was die anderen haben. Sie liest auf dem Penis: „Ruhm und Ehre der baltischen Flotte“.

Es gibt auch Bücher von Ihnen mit dem Titel „Rumbalotte“.

Die „Rumbalotte“ war ein Libretto mit Regieanweisungen für eine Rockoper, die ich an Musiker verteilt habe, die ich kenne: Musiker von Bands wie Herbst in Peking, Tarwater und so weiter – aber auch an Frank Castorf und den Theaterregisseur Christoph Schrot. Die fanden das alle ganz interessant.

Ist denn etwas daraus geworden?

Nie. Das war so ein Riesending, zu aufwendig, auf drei Jahre konzipiert. Das habe ich dann auch eingesehen und daraus einen Gedichtband destilliert, der im Kleinverlag von Urs Engeler erschien. Und dann erschienen auch noch ein paar Fortsetzungen, die „Rumbalotte Continua“.

Worum ging es bei diesem Projekt?

Um sozialrevolutionäre Tendenzen von Störtebeker bis heute.

Störtebeker, der trinkfeste Freibeuter, Symbol für Widerstand, Wagemut, Selbstbestimmtheit und Abenteuer?

„Es ist gar nicht mehr so wichtig, ob man Ossi ist oder Wessi, sondern eher, ob man renitent ist oder nicht“

Richtig.

Eigentlich sehen Sie ja inzwischen selber aus wie ein alter Seebär.

Danke.

Wie kommt es denn zu dieser Leidenschaft für Seefahrt und Piraterie?

Das hat mit meiner Herkunft zu tun. Kürzlich habe ich mit meiner Mutter telefoniert, und da fragte sie mich, ob ich mich nicht erinnern würde: Wir seien doch schon 1959 bei den ersten Störtebeker-Festspielen in Rügen gewesen. Damals wurde dort die dramatische Ballade „Klaus Störtebeker“ von Kuba uraufgeführt, von Kurt Barthel. Ich war drei Jahre alt.

Was war denn die letzte sozialrevolutionäre Tendenz, für die Sie sich interessiert haben?

Für die Zwischennutzung des Palasts der Republik, den Protest gegen das Berliner Schloss.

Was halten Sie von den Protesten gegen den Abriss der East Side Gallery?

Das ist doch Quatsch. Das ist mir zu albern, dieser ganze Schnickschnack für Touristen. Es ist nur ein Event.

Da mischt sich noch einmal Egon Kenner ins Gespräch und sagt, an der East Side Gallery erfahre man historisch nichts über die Mauer oder darüber, wie man hier, im Osten, gelebt habe.

Immerhin haben Sie im letzten Jahr einen ganzen Gedichtband über die Mauer veröffentlicht – also interessieren Sie sich doch dafür?

Na ja. Das Buch heißt „Mauer“. Aber die Gedichte handeln eigentlich gar nicht von der Mauer.

Wovon dann?

Zum Beispiel von den Klischees, die es über Ostfrauen gibt. Ein anderes Gedicht heißt „an die allgemeine weltöffentlichkeit“ und handelt von den Schwierigkeiten, echt zu sein. Ich hätte es ganz gern gehabt, wenn das Buch anders geheißen hätte. Aber dann hätte es sich wahrscheinlich nicht so gut verkauft.

Ging es bei den Protesten an der East Side Gallery nicht auch um viel mehr als nur um die Mauer – zum Beispiel darum, den Luxuswohnturm zu verhindern, der dort gebaut werden soll?

Ja, das halte ich natürlich für eine vernünftige Sache und für absolut unterstützenswürdig.

Wird es einen ähnlichen Aufstand geben bei der Demo gegen das Ende von Linienstraße 206, Kirche von Unten und Baiz am 13. April?

Ich würde es mir wünschen.

Laufen Sie mit?

Klar.