„Es gibt kein Recht auf die Innenstadt“

WOHNEN Wie soll das Wohnen in einer Stadt wie Berlin in Zukunft organisiert werden? Ein Gespräch mit Degewo-Vorstandsmitglied Frank Bielka, der Stadtplanerin Cordelia Polinna und dem Direktor des Deutschen Mieterbunds, Lukas Siebenkotten

■ Jahrgang 1975, ist Stadtplanerin und arbeitet für die Stadtentwicklungsinitiative „Think Berlin“. Sie lebt in Neukölln.

MODERATION UWE RADA

taz: Ein Gespräch über die Zukunft des Wohnens ist auch ein persönliches Thema. Wie leben Sie, Frau Polinna, Herr Siebenkotten, Herr Bielka?

Lukas Siebenkotten: In Berlin lebe ich in einer Mietwohnung. Ich stamme aber aus Nordrhein-Westfalen. Da habe ich mit meiner Frau vor etwa 20 Jahren ein Einfamilienhaus gebaut.

Frank Bielka: Ich wohne seit über 30 Jahren in einer genossenschaftlichen Mietwohnung in Neukölln. Die Wohnung ist durch Dachausbau größer geworden. Aber die Standards sind noch dieselben.

Cordelia Polinna: Ich wohne auch in einer Genossenschaftswohnung in Neukölln. Das beruhigt mich, weil ich nicht so sehr befürchten muss, wegen drastischer Mieterhöhungen die Wohnung verlassen zu müssen.

In Deutschland altert die Bevölkerung. Herr Bielka, wie viele barrierefreien Wohnungen hat Berlins größte Wohnungsgesellschaft, die Degewo?

Bielka: Auch ein Aufzug ist ein Beitrag dazu, Barrieren zu überwinden. Wenn es danach geht, sind es die meisten Wohnungen. Im engeren Sinne ist es schwieriger. Da haben wir nicht mehr als 1.000 Wohnungen.

Alleine in der Gropiusstadt bauen Sie 200 Neubauwohnungen. Wie sieht es da mit der Barrierefreiheit aus?

Bielka: Der Neubau dient auch dazu, die barrierefreien Bestände zu vergrößern. Da bauen wir seniorengerecht, teilweise sogar behindertengerecht. Das ist im Altbau schwieriger, weil die Grundrisse oft nicht geeignet sind.

Das heißt, der altersgerechte Umbau von Wohnraum ist bislang fast ausschließlich ein Thema der Bewohner von Eigenheimen und der großen kommunalen Gesellschaften?

Siebenkotten: Das stimmt. Bei privaten Hauseigentümern passiert da viel zu wenig.

Polinna: Der altengerechte Umbau darf außerdem nicht an der Wohnungstür Halt machen. Das muss auch auf der Ebene des Stadtquartiers angegangen werden. Wie sieht es mit dem Einzelhandel aus? Wie ist es bei Dienstleistern? Was hilft es mir, in einer barrierefreien Wohnung zu leben, wenn ich auf der Straße nicht in den Supermarkt komme?

In einer Studie über die Zukunft des Wohnens 2025 hat das Zukunftsinstitut in Frankfurt zwei Trends ausgemacht: Collaborative Living und Conceptual Living , also neue Formen des gemeinschaftlichen Lebens und mehr individuelle Freiheit. Sind das Indikatoren dafür, dass es eine Art Gegenbewegung zur Versingelung gibt?

Polinna: Das ist in vielen Städten schon Trend, auch in Berlin gibt es viele Baugruppen. Das wird zunehmen. Das hat auch mit der Generation der in den 70er Jahren Geborenen zu tun, also mit meiner Generation. Wir können es uns schlicht nicht vorstellen, irgendwann mal ins Altersheim zu gehen.

■ Jahrgang 1957, ist Direktor des Deutschen Mieterbundes. Er pendelt zwischen Berlin und Düsseldorf.

Würde Mehrgenerationenwohnen für Sie auch infrage kommen, Herr Siebenkotten?

Siebenkotten: Ja. Ich glaube aber nicht, das es schon ein massentaugliches Phänomen ist. Mein Eindruck ist eher, dass das Miteinander zwischen den Generationen immer noch im Abnehmen begriffen ist.

Bielka: Das ist auch ein Modethema. Ich bin am Kottbusser Tor in Kreuzberg aufgewachsen. Da waren alle Generationen vertreten, und wenn die Oma mal Hilfe brauchte, dann hat sie die bekommen. Warum erwarte ich denn von den Leuten, dass sie im selben Haus und womöglich noch in Gemeinschaftsräumen leben müssen? Wir haben in Mariengrün, einem Ortsteil von Marienfelde, ein Projekt, wo wir sagen: Wir wollen ein generationenübergreifendes Quartier schaffen.

Wie sieht das aus?

Bielka: Wir haben einen Haustyp, der für Ältere geeignet ist, und einen, der eher was für junge Familien ist. Die Wege sind kurz, man kann sich besuchen. Auf der anderen Seite ist auch Distanz möglich. Die Schwiegermutter muss ja nicht ständig reingucken.

Frau Polinna, wenn man in den Feuilletons Beiträge über die Zukunft des Wohnens liest, dann geht es im Wesentlichen um intelligente Häuser, um sogenannte smart houses .

Polinna: Die Frage ist doch: Ist das smart house wirklich das Haus der Zukunft? Wenn ich von mir persönlich ausgehe, würde ich alles daran setzen, nicht in einem solchen Haus leben zu müssen. Dass mich niemand kontrolliert, wann ich meine Waschmaschine anstelle oder ich nicht der Norm entspreche, was den Stromverbrauch betrifft.

Herr Siebenkotten, zur Zukunft des Wohnens gehört auch die Frage, ob sich das alle noch leisten können. Was ist eine bezahlbare Miete?

Siebenkotten: Heute ist es so, dass man für Wohnen, inklusive Strom, im Durchschnitt etwa 35 Prozent des Haushaltseinkommens bezahlt. Das heißt, die Reichen geben eher neun bis zehn Prozent aus. Bei Leuten, die wenig Geld haben, sind es schon mal 48 oder 52 Prozent. Wenn wir uns bei einem Drittel einpendeln könnten, würde ich das für bezahlbar halten, auch wenn ich weiß, dass das nur ein Durchschnitt ist.

Ist denn dieses Drittel für Neubaumieten realistisch?

Siebenkotten: Nein. Es sei denn, Sie verdienen mehr als der Durchschnitt. Große Probleme gibt es aber bei denen, die ein niedriges Einkommen haben. Wer nur 1.300 oder 1.500 Euro netto nach Hause bringt, wird sich keine Neubaumiete leisten können. Dem kann nur geholfen werden, wenn es eine bestimmte Förderung gibt.

■ Jahrgang 1947, ist Vorstandsmitglied der Degewo und lebt in Britz.

Herr Bielka, auf dem Tempelhofer Feld wollen Sie als Degewo zusammen mit Stadt und Land und der Genossenschaft Ideal 1.700 Wohnungen bauen. Die Hälfte dieser Wohnungen soll zwischen sechs und acht Euro netto kalt pro Quadratmeter kosten. Ist das für breite Teile der Bevölkerung bezahlbar?

Bielka: Ich kann zumindest feststellen, dass Mieten, die nach einer Sanierung um die sechs Euro liegen, für die meisten akzeptabel sind. Natürlich gibt es Menschen, für die das dann auch noch zu teuer ist. Aber wir haben da keinerlei Vermietungsprobleme. Ein anderer Effekt ist, dass sich die Raumvorstellungen ändern. Wir hatten über viele Jahre die Tendenz: schöner, größer, besser. Das differenziert sich aus. Die Wohlhabenderen sind weiter auf diesem Trip. Das sind dann die Wohnungen mit 250 Quadratmetern, die Sie immer in den Wohnzeitschriften sehen. Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass es auch in die andere Richtung geht. Schließlich ist am Ende nicht die Quadratmetermiete entscheidend, sondern die Gesamtsumme.

Polinna: Die Diskussion um kleiner werdende Wohnungen ist spannend. Das ist wohl auch die einzige Variable, weil man die Baukosten nur noch schwer reduzieren kann. Allerdings muss man auch über Standards diskutieren. Brauchen wir wirklich in jeder Wohnung eine Waschmaschine? Warum tun wir uns nicht alle im Haus zusammen und haben im Keller eine Sauna, dafür aber eine kleinere Wohnung mit weniger Miete?

Die Zahl der landeseigenen Wohnungen in Berlin soll von 270.000 auf 300.000 erhöht werden. Liegt die Zukunft des bezahlbaren Wohnens in der Ausweitung des kommunalen und genossenschaftlichen Sektors?

Polinna: Ja. Nur durch eine Stärkung von gemeinwohlorientiertem Wohnraum kann der Spekulation entgegengewirkt werden. Inzwischen sind Wohnungen ja vor allem in Berlin attraktive Anlageobjekte für internationale Investoren. Um dem etwas entgegenzusetzen, brauchen wir mehr Wohnraum im gemeinwohlorientierten Sektor. So wie zum Beispiel in Wien, wo mehr als die Hälfte der Wohnungen in kommunaler Hand sind. In Städten, wo das nicht mehr der Fall ist, wie in London, können sich Geringverdiener die Innenstadt nicht mehr leisten.

Wo liegt denn die Zukunft des Wohnens in Berlin – in der Innen- oder in der Außenstadt?

Polinna: Die Innenstadt ist städtebaulich so attraktiv, dass sie in den nächsten Jahren weiter aufgewertet werden wird. Gerade merken wir, wie Neukölln boomt. Bald wird es auch den Wedding erfassen. Deshalb ist es wichtig, auf die Außenstadt zu schauen, damit sich dort nicht massive Segregationstendenzen herausbilden, bei denen die Armut an den Rand gedrängt wird. Wir müssen uns fragen: Wie kann man einige Qualitäten der Innenstadt in die Außenstadt transportieren?

Herr Siebenkotten, gibt es ein Recht auf Wohnen in der Innenstadt?

■ Einen Blick auf die Stadt im Jahre 2050 will die Wohnungsgesellschaft Degewo während einer ganztätigen Fachkonferenz im Café Moskau werfen: Am Dienstag, den 13. Mai wird gefragt, wie sich der Lebensraum Stadt in den nächsten 35 Jahren entwickelt und verändert. Es geht um Trends, Erwartungen und Herausforderungen; diskutiert werden soll mit Vertretern aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik sowie nationalen und internationalen Referenten. Programm und Anmeldung unter www.degewo.de. (taz)

Siebenkotten: Es gibt ein Recht auf Wohnen, das ist erst einmal das Wichtigste. Das steht zwar bei uns nicht in der Verfassung, deshalb sollte man es da schleunigst mal reinschreiben. Es ist die Aufgabe der Politik und der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass dieses Recht für jeden Menschen verwirklicht werden kann.

Also nichts gegen Pariser Verhältnisse, solange die Banlieue in Ordnung ist?

Siebenkotten: Es gibt kein Recht auf Wohnen in der Innenstadt. Aber es muss sichergestellt werden, dass wir nicht immer mehr Gated Communitys bekommen. Das hat bisher in Deutschland gut funktioniert. Auch in Zukunft muss es weiterhin eine Mischung geben. Da können die städtischen Gesellschaften auch mitmischen.

Bielka: Ich sehe das genauso. Es ist in Deutschland geradezu charakteristisch, dass die Städte im Großen und Ganzen noch gemischt sind. Sie haben oben und unten, aber sie haben keine geschlossenen Ausländerquartiere. Selbst Kreuzberg ist ein gemischtes, auch ein ethnisch gemischtes Quartier.

Sie haben am Anfang Ihre persönliche Wohnsituation thematisiert. Was glauben Sie, wie es da in zehn Jahren aussieht?

Polinna: In Nordneukölln hat sich vieles rasant verändert. Dort wird neben Türkisch und Arabisch nun auch Englisch und Spanisch gesprochen. Diesen Trend wird man nicht bremsen können, weil er marktgesteuert ist. Ich hoffe aber, dass sich die soziale Infrastruktur bessert. Wir wohnen als Familie gerne im Norden Neuköllns, aber unsere Tochter schicken wir doch lieber in Kreuzberg auf die Schule.