Im Banne des Rücktritts

PARLAMENT In der ersten Sitzung nach Wowereits Abtrittsankündigung soll es um den Länderfinanzausgleich gehen – es geht vor allem um den scheidenden Regierenden

■ Bis zum Jahresende werden weitere rund 5.000 Flüchtlinge nach Berlin kommen. Diese Zahl nannte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) und berief sich dabei auf eine Schätzung des Bundesamts für Migration. Frühere Prognosen hätten sich damit binnen weniger Monate verdoppelt.

■ Schulen in freier Trägerschaft erhalten weiterhin kein Geld aus dem Brennpunktschulprogramm. Für die sei keine zusätzliche Förderung vorgesehen, sagte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD).

■ Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) hat nun auch im Zusammenhang mit der Vergabe der Strom-Konzession von „Befangenheit“ gesprochen, ohne dabei konkreter zu werden. Auch ein Sprecher seiner Verwaltung mochte auf taz-Anfrage Hintergründe nicht erläutern.Vor der Sommerpause war der Begriff beim Thema Gasnetze gefallen, weil Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) an dem Energiehandelsunternehmen Ampere beteiligt ist. (sta)

VON STEFAN ALBERTI

Er wünsche sich, dass der Regierende Bürgermeister seinen Rücktritt erst mal zurücknimmt. Es ist keiner der immer noch zahlreichen Wowereit-Anhänger in der SPD, der am Mikro des Abgeordnetenhauses so redet, sondern Heiko Herberg von den Piraten. Und der liefert auch gleich einen Grund dafür: „Die SPD hat niemanden, der das Format von Herrn Wowereit hätte.“

Es ist das erste Mal nach der Sommerpause, dass das Parlament tagt. Vor allem aber ist es die erste Sitzung, seit Klaus Wowereit vor drei Wochen angekündigt hatte, am 11. Dezember zurück zu treten. Grüne, Linke und Piraten wollten das auch besprechen – weil es den Senat aus ihrer Sicht handlungsunfähig macht. Das aber war weniger im Interesse der SPD, die stattdessen das noch nicht ganz aktuelle Thema des umstrittenen Länderfinanzausgleichs durchsetzte. Und doch ist die Rücktrittsankündigung allgegenwärtig.

Es ist nicht allein Pirat Herberg, der so warme Worte für Wowereit findet, dass man sich fragen könnte, warum den jemals einer weghaben wollte. „Respekt vor Ihrer politischen Lebensleistung“, ist von der Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop zu hören, die in zwei Wochen erst mal selbst für den Verbleib in ihrem Amt kandidieren muss. „Die Stadt ist Klaus Wowereit zu Dank verpflichtet“, sagt ihr SPD-Kollege Raed Saleh, der wie Stadtentwicklungssenator Michael Müller und Parteichef Jan Stöß gern selbst neuer Regierender werden will. Als die zehn Jahre mit Wowereit koalierenden Linken diesen Satz nicht beklatschen, rügt Saleh: „Ihr Verhalten würde man außerhalb des Parlaments als verhaltensauffällig bezeichnen.“

Grüne, Linke und Piraten, sie alle sorgen sich, dass nun die Verhandlungen über den Finanzausgleich leiden könnten, der Berlin bislang jährlich über 3 Milliarden Euro bringt. Denn bislang ist das entscheidende Schlussgespräch zwischen Ministerpräsidenten und Kanzlerin auf den 11. Dezember angesetzt – genau jenen Tag, an dem das Abgeordnetenhaus den Wowereit-Nachfolger wählen soll. Was eben dazu führt, dass sich Herberg einen späteren Rücktritt wünscht.

Denn wie soll das gehen, fragt die Opposition: zurücktreten, Senat entlassen, den Nachfolger wählen, neue Regierungsmitglieder benennen – und zwischenzeitlich zur Ministerpräsidentenkonferenz zum Finanzausgleich rüberspringen? Zu einem Thema mit einer Tragweite, die für die Grüne Pop „einmal in Jahrzehnten vorkommt“? Eine richtige Antwort darauf bleibt aus. Finanzsenator Ulrich Nußbaum immerhin verweist nicht ohne Eigenlob darauf, dass – „nichts gegen die Chefs“ – die entscheidende Vorarbeit bei ihm und seinen Finanzministerkollegen liegt. Senatssprecher Richard Meng wird später der taz sagen, es sei doch auch noch gar nicht klar, ob sich diese Verhandlungen nicht übers Jahresende hinausziehen würden. Die Neuwahl zu verschieben hält er darum nicht für sinnvoll.

Theoretisch wäre es auch möglich, die Wahl vorzuziehen: Zwischen der Auszählung des SPD-Mitgliedervotums am 6. November und der Parlamentssitzung 11. Dezember gibt es zwei weitere Sitzungen des Abgeordnetenhauses. Dessen Präsident Ralf Wieland hatte am Mittwoch nicht ausgeschlossen, dass es zu einem früheren Termin kommt.

Pirat Herberg hat währenddessen nicht nur Lob für Wowereit übrig, sondern erklärt auch, warum für die SPD Saleh und keiner der Haushaltsexperten über die Länderfinanzen redet: Dessen Konkurrent Stöß habe sich jüngst darüber ausgelassen, nun habe Saleh kontern müssen. Der dritte Bewerber, Michael Müller, braucht sich da aus Herbergs Sicht gar nicht abzumühen: „Der wird beim SPD-Mitgliederentscheid sowieso gewählt.“