„Wir haben uns da am schwarzen Tee besoffen“

JUGENDBEWEGUNG Eine Ausstellung zeigt, dass man in mancher Nische auch in der DDR „widerspenstig und widerständig“ sein konnte. Manchmal half einem sogar die Staatssicherheit dabei, erzählt Dirk Moldt, der die Schau im Museum Lichtenberg eingerichtet hat

■ Jahrgang 1963, ist gelernter Uhrmacher (vorwendisch) und studierter Historiker (nachwendisch). Er veröffentlichte Texte und Bücher zum Mittelalter, Punk und zur Geschichte Friedrichshains.

INTERVIEW SUSANNE MESSMER

taz: Herr Moldt, Lichtenberg gilt vielen bis heute als rechtsradikale Hochburg, um die man besser einen Bogen macht. Stimmt das noch?

Dirk Moldt: Lichtenberg ist ein Stadtbezirk wie jeder andere auch in Berlin, nur nicht so „szenig“. Man könnte genauso sagen, dass Lichtenberg eine Hochburg der Linkspartei ist. In Lichtenberg wohnten viele Intellektuelle und Bürgerliche der DDR-Gesellschaft – das sicherste Fundament der Regierung der DDR.

Trotzdem tauchen auch Rechtsradikale in der von Ihnen kuratierten Ausstellung auf, „Widerständig und widerspenstig“, in der es um die Jugendkultur in Lichtenberg zur DDR-Zeit geht?

Wir haben den Rechtsradikalen ein Thema unter dem Motto „Selbst einmal Angst verbreiten“ gewidmet. Das beschreibt den Reiz, den diese Szene für viele Jugendliche der DDR hatte, ganz gut. Wir erklären, wo dieses Phänomen herkam: dass es im Grunde ein typisches DDR-Produkt war. Einerseits führten die Skins das Nichtumgehenkönnen der Gesellschaft und der Obrigkeit mit allem, was fremd war, nur weiter. Hinzu kam, dass der Faschismus in der DDR als ausgerottet galt, dass es also von offizieller Seite keinen Umgang mit diesem Problem gab.

Welches Lichtenberg wollten Sie in der Ausstellung noch zeigen?

Wir wollten ein Lichtenberg zeigen, in dem es vitale, widerspenstige und widerständige Szenen gab. Jugendliche, die sich einerseits ihre eigenen Räume geschaffen haben – aber auch Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt und verfolgt wurden, zum Beispiel die Sinti und die Homosexuellen.

Es gibt schon einige Bücher über Jugendkulturen in der DDR – zum Beispiel „Bye Bye, Lübben City“ über die Bluesfreaks oder „Wir wollen immer artig sein“ über Punk. Warum noch eine Ausstellung?

Ich finde, man kann von den Subkulturen der DDR nicht genug erzählen. So kompakt wurde von diesen gesellschaftlichen Gruppen in diesem Stadtteil außerdem noch nicht erzählt. Unter anderem zeigen wir Subkultur im Kaskelkiez, nördlich vom S-Bahnhof Rummelsburg. Dieses Gebiet war vor 1989 eines der heruntergekommensten der Stadt, ein regelrechtes Ghetto.

Ein Arbeiterviertel?

Schlimmer. In der DDR wurden Menschen, die aus dem Gefängnis kamen, Wohnungen zugewiesen. Weil es im Kaskelkiez viel Leerstand gab, wurden die Wohnungen dort bevorzugt an ehemalige Inhaftierte vergeben. Ein Bekannter, der in den achtziger Jahren dort wohnte, beschrieb das mal so: Wenn man im Kaskelkiez in eine Kneipe kam, saßen manchmal um einem Tisch fünfzig Jahre Gefängnis herum.

Was interessierte Sie am Kaskelkiez?

Ich habe Anfang der achtziger Jahre in Friedrichshain gewohnt. Selbst die Arbeiter, die damals noch dort wohnten, rümpften die Nase über den Kaskelkiez. Dort wohnte der Abschaum, die „Asozialen“, wie man damals sagte – Leute, die es eigentlich in der DDR nach der offiziellen Doktrin hätte gar nicht geben dürfen.

Und dann kamen die jugendlichen Aussteiger?

Ja genau. Zuerst kamen die Langhaarigen, die Bluesfreaks, Tramps oder auch Hippies. Im Begleitprogramm zur Ausstellung gibt es einen Abend, der der Jugendgruppe vom Lichtenberger Tunnel gewidmet ist, die sich schon 1965 im Fußgängertunnel des Bahnhofs Lichtenberg trafen. Die wurden im Eulenspiegel als „Haarlekine von Lichtenberg“ bezeichnet und im Neuen Deutschland als „arbeitsscheue Rüpel“, als dreckige, stinkende Mitesser. Diesen Artikel zeigen wir auch in der Ausstellung.

Was kam nach den Langhaarigen?

Zuerst gab es noch die Blues-Messen in der Erlöserkirche. Das war eine Veranstaltung für Langhaarige bis 1986. Dann kamen natürlich die Punks im Pro-Fi-Keller der Erlöserkirche, wo regelmäßig Konzerte statt fanden. Das ist wahrscheinlich das bekannteste Kapitel der Jugendkultur in Lichtenberg, unter anderem wegen des Konzerts der Toten Hosen 1983, die dort ohne Genehmigung und ohne Gage spielten.

Gab es so etwas wie eine Koalition zwischen diesen jungen Aussteigern und den „Asozialen“, die Sie eben beschrieben haben?

„Man hat sich da eine Nische ertrotzt, in die man sich nicht hat reinreden lassen“

Ich würde mal sagen, dass das eher Wunschdenken war. Da hätte man extreme Sozialarbeit leisten müssen, um an diese Leute überhaupt heranzukommen. Allerdings habe ich vereinzelt solche Phänomene beobachtet.

Wie das?

Im Club Napf etwa, den ich selbst miterlebt habe und dem wir im Begleitprogramm einen Abend gewidmet haben. Da wurden im Kinderladen Kinder aus diesem Milieu betreut. Neben den Aussteigern, eine weitere Klientel, die sich dort traf, spielten auch Sinti, die im Viertel lebten. Die waren aufgrund ihrer Erfahrungen in der NS-Diktatur traumatisiert und auch in der DDR eine ausgegrenzte Gruppe. Anders als die kommunistischen Widerstandskämpfer bekamen sie nur unter diskriminierenden Umständen, wenn sie ihre Arbeitswilligkeit bewiesen, eine Wiedergutmachung. Ein Thema, das wir in der Ausstellung beschreiben.

Was war der Napf für ein Ort?

Die Räume des Napf wurden 1979 besetzt, was unter anderem deshalb klappte, weil zwei der Initiatoren bei der Stasi waren.

Bei der Stasi?

Ja, der Stasi. Das ist eine schwierige Geschichte. Es gibt eine Theorie, nach der manche Orte wie der Napf, wo sich kritische Leute trafen, eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Stasi-Mitarbeiter war. Das Ministerium für Staatssicherheit war vor allem darauf aus, Konflikte zu vermeiden. So lange man also nicht auf der Straße demonstrieren ging und den Dampf in solchen Clubs abließ, war alles gut.

Man fühlte sich an Orten wie dem Napf recht unbehelligt?

Ja und nein. Die Stasi produzierte Unsicherheit, denn es wusste niemand, wie die genau arbeiten und wie weit die gehen würden. Es sind ja auch schlimme Dinge passiert. Ein Jugenddiakon, der im Napf den Kinderladen machte, wurde regelrecht rausgeekelt. Der gehörte zur Schwerter-zu-Pflugscharen-Bewegung und provozierte gern Autoritäten. Wir aber fühlten uns im Napf immer relativ unbeobachtet, besonders in der Teestube am Freitagabend.

Was machte man dort?

Wir haben uns da am schwarzen Tee besoffen, gesponnen, Spiele gespielt, Witze erzählt. Alkohol war verpönt. Manchmal gab es kulturelle Einlagen, bei der Dichter ihre Verse vortrugen. Oder es traten Musiker auf. Man konnte da einfach abhängen. Solche Räume waren in der DDR rar. Darum waren sie so wichtig.

Konnte man sich also an Orten wie dem Napf frei fühlen?

■ Um jugendlichen Widerspruch geht es in der Ausstellung „Widerspenstig und widerständig“, um Widerspruch in der DDR, und zwar eingegrenzt auf Lichtenberg, dessen Jugendkultur von 1960 bis 1990 in der Schau dokumentiert wird. Zur Eröffnung heute am Freitag um 19 Uhr sprechen Dirk Moldt und Ulrike Poppe, Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur. Außerdem gibt es Musik der Gruppe Sinti Swing.

■ Die Austellung im Museum Lichtenberg im Stadthaus in der Türrschmidtstraße 2 ist bis 30. April 2015 zu sehen. Informationen auch zum Begleitprogramm: www.museum-lichtenberg.de

Man hat sich da eine Nische ertrotzt, in die man sich nicht oder wenig hat reinreden lassen. Viele, die sich damals dort trafen, empfanden sich als freie Menschen, als sehr souverän. Der Entscheidungsspielraum war begrenzt, aber den haben wir kreativ ausgeschöpft, nicht im vorauseilenden Gehorsam, wie die meisten, sondern, um die Spielräume zu erweitern. Wir hatte zum Schluss Freiheitsstandards, von denen die normalen DDR-Bürger nur träumen konnten.

Welche?

Wir wussten, wo und wie man Wohnungen besetzt, und konnten auch coole Jobs vermitteln. Viele von uns arbeiteten bei der Volkssolidarität. Da musste man nur ein paar Stunden arbeiten und bekam dafür einen Arbeitsvertrag, den man ja in der DDR brauchte, wenn man nicht ins Gefängnis wollte. Die Lebenshaltungskosten waren niedrig. Wir haben auch junge Männer beraten, die nicht zur Armee wollten – auch da gab es Möglichkeiten.

Das entspricht nicht dem Bild, nach dem die DDR eine geschlossene Gesellschaft mit totalitärem Regime war, oder?

Das können sich viele gar nicht vorstellen, wie wir lebten. Nicht einmal Leute, die in der DDR gelebt haben. Da haben viele später sehr sauertöpfisch reagiert. Wie konnte man sich in einem Unrechtsstaat frei fühlen?

Interessiert das heute noch?

Wie man ein besseres Leben führen kann, ist ein Thema, das alle interessiert. Wir bieten in der Ausstellung Workshops für Schulklassen an. Wir wollen den jungen Leuten zeigen, wie wir damals mit Maßregelungen, Vorurteilen und Zwängen umgingen. Sie sollten wissen, dass wir die Wende nicht ausschließlich als einen Befreiungsschlag empfunden haben. Immer noch werden Menschen diskriminiert. Dafür wollen wir sensibilisieren.