Geschlossene Gesellschaft in der Turnhalle

BEWEGUNG Sportverbände und -vereine diskutieren über die Inklusion von Menschen mit Behinderung. Teilhabe ist vielerorts gar nicht möglich: Nur ein Fünftel der Berliner Sportstätten ist rollstuhlgerecht

■ Die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) sichert Menschen mit geistigen, körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen die Möglichkeit der umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe zu. Die Konvention wirkt in sämtliche Bereiche hinein: Jedes verabschiedete Gesetz muss ihr gerecht werden.

■ In Deutschland trat die Konvention 2009 in Kraft. Damit verpflichtete sich das Land, einen Nationalen Aktionsplan zu entwerfen und regelmäßig einen Staatenbericht vorzulegen.

■ Etwa 1.100 Turn- und Sporthallen gibt es in Berlin, von denen nur ein kleiner Teil für alle zugänglich ist. Für 2014/2015 stellt der Senat 200.000 Euro für die Förderung von Inklusion zur Verfügung. (hr)

VON HILKE RUSCH

Olympia muss in Berlin stattfinden, findet Kirsten Ulrich. Mit den Olympischen und Paralympischen Spielen verbindet die Frau vom Netzwerk Sport und Inklusion die Hoffnung, dass eine Vielzahl von Sportstätten barrierefrei umgestaltet wird. Ob sich Berlin für Olympia bewirbt, ist allerdings noch keine ausgemachte Sache. Und bis 2024 auf Barrierefreiheit zu warten, ist ohnehin nicht das Ziel.

Am Samstag hatte der Landessportbund Berlin (LSB) zur Fachtagung „Vielfalt bewegt Berlin“ in die Senatsverwaltung für Inneres und Sport geladen. Die Veranstaltung richtete sich vornehmlich an Verbände und Vereine, die Interesse an Inklusion im Sport haben, denen es bislang aber am nötigen Wissen zur Umsetzung fehlt.

In Workshops gab es die Gelegenheit, sich über Fördermöglichkeiten, Aus- und Weiterbildung von Übungsleiter_innen oder die Zusammenarbeit von Schulen und Vereinen zu informieren. Neben einer Bestandsaufnahme zur aktuellen Situation ging es auch darum, Ziele zu formulieren und Strategien zu erarbeiten. Knapp 130 Teilnehmende waren erschienen.

Zu Beginn des Fachtages stand ein Vortrag von Hans-Jürgen Schulke, Professor für Sportmanagement in Hamburg. Der betonte, dass es für Inklusion eines gesellschaftlichen Perspektivwechsels bedarf. Das Konzept gehe schließlich über den Integrationsgedanken hinaus: Statt Menschen ohne Behinderungen als normal und Menschen mit Behinderungen als besonders zu begreifen, gelte es, jeden Menschen in seiner Individualität zu sehen und zu akzeptieren.

Inklusion begreift Vielfalt als Bereicherung. Folglich will das Netzwerk Sport und Inklusion, dem auch der LSB angehört, nicht nur die Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen fördern, sondern auch jene von Menschen aus sozial benachteiligten Schichten oder mit Zuwanderungsbiografie.

Welche Fragen das Inklusionskonzept aufwirft und wie unterschiedlich es umgesetzt werden kann, illustrierte Schulke in seinem Vortrag anhand von Beispielen. Und warf Fragen auf: Wie inklusiv sind etwa Paralympics, die als eigenständiges Event und nicht als Teil von Olympia stattfinden – die aber bei der letzten Austragung von 80.000 Menschen begeistert vor Ort verfolgt wurden?

Dass Inklusion nicht nur die Teilnahme von Menschen mit Einschränkungen an bekannten Sportarten bedeuten muss, zeigte Schulke an Beispielen wie Sitzvolleyball oder Rollstuhlbasketball. Da können auch Menschen mitspielen, die nicht auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Schulke berichtete zudem von „Unified Sports“, bei dem Menschen mit und ohne geistige Behinderung gemeinsam nach Regeln trainieren, die inklusiv wirken – etwa, indem jede_r Spieler_in eines Teams Ballkontakt haben musste, bevor ein Tor gezählt wird.

Um aber überhaupt gemeinsam Sport treiben zu können, bedarf es Sportstätten, die für alle zugänglich sind – und davon gibt es in Berlin nicht viele. Peter Hahn vom LSB schätzt, dass etwa 20 Prozent der Turn- und Sporthallen „barrierefreundlich“ sind. Das heißt, dass in den Einrichtungen vereinzelt Rampen oder rollstuhlgerechte Toiletten vorhanden sind.

Kran für Schwimmer

Es mangelt also an der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die eigentlich jedem Menschen mit Behinderung umfassende gesellschaftliche Teilhabe garantieren soll (siehe Kasten). Dafür gibt es viele Gründe. Manchmal fehlt es an Wissen, manchmal am Willen.

Und natürlich fehlt es auch an Geld: In der schnell wachsenden Stadt Berlin würden Bauvorhaben, so Peter Hahn, nicht umsichtig entwickelt, sondern eilig umgesetzt. Baumängel im Nachhinein zu beseitigen kostet. Ein Beispiel ist das Stadtbad Schöneberg, das barrierefrei umgestaltet werden sollte, in dem dann aber ein Kran fehlte, mit dem Rollstuhlfahrer_innen das Becken nach dem Schwimmen wieder verlassen können.

Wie inklusiv sind Paralympics, die als eigenständiges Event und nicht als Teil von Olympia stattfinden?

Häufig ist Barrierefreiheit rein bautechnisch in bestehenden Gebäuden, anders als in Neubauten, nicht möglich – und manchmal spricht auch der Denkmalschutz dagegen. Dieses Argument erntete auf der Tagung viel Unverständnis. Dass Denkmalschutz vor der Teilhabe von Menschen steht, bezeichnete einer als „Frechheit“.

Ein Leuchtturm der Inklusion soll der Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg werden. Dort wird gerade eine Machbarkeitsstudie erstellt, die die Umsetzungsmöglichkeiten von Barrierefreiheit vor Ort prüft. Der beteiligte Architekt Rüdiger Hagg berichtete am Samstag über den aktuellen Stand. Unabhängig vom Aspekt der Barrierefreiheit stellt sich laut Hagg die Frage, wie funktional die bestehenden Gebäude des Sportparks sind und ob ein Abriss und Neubau nicht sinnvoll wäre.

Großer Spielraum

Der Barrierefreiheit würde das zugute kommen: „Alles, was neu gebaut wird, wäre zu hundert Prozent inklusiv“, sagte Hagg am Samstag. Das hieße, es würde nicht zusätzliche, für Rollstuhlfahrer_innen befahrbare WCs und Umkleiden geben, sondern sämtliche Bereiche wären für alle Menschen uneingeschränkt zugänglich.

Die Studie soll Anfang Dezember abgeschlossen werden. Bei der anschließenden konkreten Gestaltung sieht Rüdiger Hagg derzeit noch großen Spielraum und riet, sich aktiv in den Prozess einzubringen. Ob der marode Jahn-Sportpark allerdings überhaupt in so einem Umfang saniert wird, ist bislang ebenso wenig entschieden wie Berlins Olympia-Bewerbung.