George Grosz darf nicht ins Exil

KUNST Der Senat wollte sieben Werke im Besitz eines Galeristen als „national wertvolles Kulturgut“ deklarieren. Der Eigentümer klagte dagegen. Das Verwaltungsgericht gab ihm weitgehend recht

Hannah Höchs „Ertüchtigung“ ist keine künstlerische Innovation

Wohl dem, der ein wertvolles Bild besitzt. Doch wehe, die Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten beschließt, dieses Kunstwerk in das Verzeichnis national schützenswerter Kulturgüter aufzunehmen. Denn dann darf dieses Bild nur noch auf dem nationalen Kunstmarkt gehandelt werden, nicht aber an zahlungskräftige Kundschaft aus den USA, China oder den Arabischen Emiraten veräußert werden. Diese Ausfuhrbeschränkung mindert den möglichen Verkaufpreis immens.

Sieben Werke des Berliner Galeriebesitzer Florian Karsch, die der 92-Jährige bereits seit Jahrzehnten besitzt, sollten künftig laut Senatskanzlei solche Kulturgüter sein. Karsch wehrte sich dagegen vor dem Verwaltungsgericht, das ihm am Donnerstag in sechs von sieben Fällen Recht gab. Einzig die Aquarell-Collage „Brillantenschieber im Café Kaiserhof“ von George Grosz ist demnach national wertvolles Kulturgut.

Zuvor hatte das Gericht unter dem Vorsitz von Winfried Peters zwei Stunden Nachhilfe in Sachen Kunstgeschichte erhalten. Die vom Gericht beauftragte Gutachterin Aya Soika erklärte, warum sie die Einschätzung der Senatskanzlei überwiegend nicht teile. Da wäre zunächst Otto Muellers „Zwischen den Bäumen stehendes Mädchen“. Hier hatte die Juristin Liane Rybczyk für die Senatsverwaltung argumentiert, das Bild habe zeitgeschichtliche Bedeutung, weil es als einziges einen Beschlagnahme-Stempel auf der Rückseite verpasst bekommen hätte, als es 1937 als „entartete Kunst“ eingestuft wurde. Doch einen solchen Stempel gäbe es gar nicht, so Soika. Es handele sich vielmehr um einen gewöhnlichen Sammlungs-Stempel. Die als „entartet“ eingestuften Bilder erhielten damals nur eine mit Bleistift geschriebene Inventarnummer. Und auch wenn Muellers Bild die letzte Nummer trage, betonte Soika, sei es nicht schützenswert. Überdies sei Mueller der am wenigsten renommierte Vertreter der expressionistischen Künstlergruppe „Die Brücke“.

Ähnlich erging es Ernst Ludwig Kirchners „Mädchen auf violettem Sessel“ und „Zwei nackte Tanzende“, die laut Soika „keine gesonderte Stellung“ unter den etwa 10.000 Zeichnungen des Künstlers einnehmen würden. Und bei Hannah Höchs „Ertüchtigung“ aus dem Jahre 1925 handele es sich um „keine künstlerische Innovation“, da die „durchaus bedeutsame Künstlerin“ ihre Collage-Technik zu diesem Zeitpunkt bereits seit sechs Jahren praktizierte. Ihren Ruf habe sich die Dadaistin vor allem mit politisch kommentierenden Bildern wie „Hochfinanz“ und „Der Vater“ erworben.

Von George Grosz’ Federzeichnung „Belebte Straßenszene“ gäbe es Dutzende ähnliche, auch das Aquarell „Schönheit, dich will ich preisen“ gehöre nicht in das Verzeichnis, befand die Gutachterin. Einzig das Aquarell „Brillantenschieber im Café Kaiserhof“ aus dem Jahre 1920 ließ sie gelten, weil es zum einen nur wenige Werke aus der Frühphase dieses Künstlers gebe; vor allem aber, weil das Hotel „Kaiserhof“ am Wilhelmplatz nicht mehr existiere und die Darstellung darum aus landesgeschichtlicher Sicht wichtig sei.

Das Gericht schloss sich den Ausführungen der Gutachterin fast bis in die Details an. Zwei Millionen Euro beträgt der Streitwert in diesem Prozess, die Gerichtskosten belaufen sich auf einen knapp fünfstelligen Betrag. Die Fehleinschätzungen in Sachen expressionistischer Kunst werden für die Senatskanzlei also nicht billig. UTA EISENHARDT