„Man holt sich ein Stück DDR zurück“

Der Arbeitsmarktexperte Karl Brenke vom DIW kritisiert den vom rot-roten Senat beschlossenen „öffentlich geförderten Beschäftigungssektor“ (ÖBS). Das sei nichts anderes als eine Neuauflage der alten ABM

KARL BRENKE, 54, ist Soziologe am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Mitte. Er hat sich auf Arbeitsmarktpolitik und Regionales spezialisiert.

taz: Herr Brenke, der Senat will in Berlin einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS) mit 10.000 Stellen für Langzeitarbeitslose schaffen. Was halten Sie davon?

Karl Brenke: Nicht viel. Da werden öffentliche Mittel bereitgestellt, um ein Modell wieder aufzukochen, das doch sehr stark an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) erinnert. Es hat nur einen neuen Namen, jetzt heißt es eben ÖBS. Der einzige Unterschied ist, dass die Stellen offenbar dauerhaft eingerichtet werden sollen, ABM waren befristet. Aber die Probleme werden dieselben sein.

Zum Beispiel?

Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen, dass ABM ungeeignet sind, die Leute in den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen. Sie verharren in den Maßnahmen.

Das Programm richtet sich sowieso nur an jene Langzeitarbeitslosen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben.

Da wäre ich ganz vorsichtig. Das ist das zweite Problem: Man stigmatisiert die Menschen. Ich glaube durchaus, dass es auch für diese Leute Möglichkeiten gibt. Wir haben derzeit eine günstige konjunkturelle Entwicklung, die erreicht auch den Arbeitsmarkt.

Es wird immer Arbeitslose geben, die keine Stelle mehr finden. Bekommen diese durch den ÖBS nicht wieder eine Perspektive?

Man lässt sie Tätigkeiten verrichten, die im Prinzip keiner braucht. Ist es wirklich wichtig, dass man Irrgärten in Marzahn bewacht? Mir drängt sich der Eindruck auf, dass es vorrangig darum geht, Leute in Jobs zu bringen. Man holt sich ein Stück DDR zurück. Hauptsache, die Leute haben Arbeit, ob sie sinnvoll ist oder nicht.

Es kann durchaus sinnvoll sein, Dolmetscher in Kitas zu haben oder wieder mehr Personal auf den Bahnsteigen.

Bei den ABM haben wir gesehen: Entweder die Leute machen Tätigkeiten, die man nicht braucht. Oder man braucht ihre Arbeit, aber dann stehen sie in Konkurrenz zum Markt. Die gemeinnützigen Tätigkeiten lassen sich nicht grenzenlos ausdehnen. Die machen teilweise ja schon die 1-Euro-Jobber.

Wie unterscheidet sich der ÖBS von den 1-Euro-Jobs?

Die Langzeitarbeitslosen sollen jetzt eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bekommen. Das ist bei den 1-Euro-Jobbern anders, die stocken ja nur ihren Hartz-IV-Regelsatz auf. Das ÖBS-Modell ist also deutlich teurer. Statt viel Geld für neue ABM auszugeben, wäre Berlin besser beraten, in die Infrastruktur oder die Bildung zu investieren. Da lebt die Stadt zurzeit von der Substanz.

Berlin hat in den letzten Jahren heftig gespart. Im öffentlichen Dienst wurden tausende Stellen abgebaut. Ist der ÖBS ein Versuch, der liegen gebliebenen Arbeit beizukommen?

Sie meinen, das Land spart Personal weg und zapft mit dem ÖBS dann die Bundesmittel an, um die öffentlich Bediensteten so zu finanzieren? Nein, das glaube ich nicht. Sicher herrscht in manchen Bereichen inzwischen Personalknappheit, beispielsweise im Bildungssektor. Aber da bräuchte man qualifizierte Leute. Die ÖBS-Jobs sind eher Arbeiten, die bisher ABM-Kräfte gemacht haben. Was mit diesem Modell auf uns zukommt, ist nichts anderes als ABM 2.0.

ANTJE LANG-LENDORFF