„Vorgeblich ist es immer ein Mangel an geeigneten Immobilien“

ÄRGER Manche Bezirke wehren sich gegen die Verpflichtung zur Unterbringung von Flüchtlingen. Andere nicht. Auch ein Wahlkampfthema, sagt Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat

■ 57, ist Diplompädagoge und unterstützt als Mitarbeiter des Flüchtlingsrates Berlin Initiativen und Einzelpersonen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren.

INTERVIEW ALKE WIERTH

taz: Herr Classen, in Hellersdorf kam es gerade zur rechten Stimmungsmache gegen ein Asylbewerberheim. Andererseits lobten Sie kürzlich eine Bürgerversammlung in Charlottenburg zum dortigen Heim im Westend – was lief dort gut?

Georg Classen: In Hellersdorf applaudierten 800 Anwohner frenetisch der NPD und beschädigten das Image ihres Bezirks in der Öffentlichkeit. Ärgerlich ist dabei, dass das Bezirksamt als Veranstalter dagegen nicht eingeschritten ist, obwohl im Vorfeld bekannt war, dass organisierte Rechtsradikale als angebliche „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ massiv mobilisiert hatten. Dringend gefordert ist in Hellersdorf jetzt die Zivilgesellschaft, die sich im Westend schon zusammengefunden hat. Auch auf der Bürgerversammlung in Charlottenburg wurden anfangs rassistische Ressentiments vorgetragen: Flüchtlinge seien kriminell, sexuell übergriffig, verbreiteten Krankheiten et cetera. Dann gab es aber ganz viel andere Wortmeldungen: Elternvertreter sagten, ihnen seien Flüchtlingskinder willkommen. Kirchengemeinden machten Angebote, es wurde ein regelmäßiges Unterstützertreffen und die Planung eines Sommerfestes mit den Flüchtlingen beschlossen. Das ist natürlich toll.

Wovon hängt es ab, welche Haltung BürgerInnen einnehmen? Von lokalen Politikern oder politischen Mehrheiten?

Die Zusammensetzung der Bewohnerschaft spielt eine Rolle, die im Westend anders ist als in Hellersdorf, aber maßgeblich ist auch das Verhalten der Parteien und Bezirkspolitiker. In Rudow etwa hatte die CDU zu einer Veranstaltung gegen ein geplantes Flüchtlingsheim eingeladen, inzwischen hat dort die NPD das Thema übernommen. In Reinickendorf haben CDU- und SPD-Bezirksstadträte mit Flugblättern und einer Quarantäne für ein ganzes Heim wegen windpockenkranker Kinder regelrechte Sabotage gegen Flüchtlingsunterkünfte betrieben.

Woran liegt es denn, ob und wie sehr ein Bezirk sich sträubt?

Vorgeblich ist es immer der Mangel an geeigneten Immobilien. Deshalb hat das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales mittlerweile ja damit angefangen, Gebäude einfach zu beschlagnahmen, um Obdachlosigkeit von Flüchtlingen zu vermeiden. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch Wahlkampf haben. Da ist Flüchtlingspolitik immer ein beliebtes Thema zum Stimmenfang.

Die Flüchtlingszahlen steigen wieder, aber noch sind wir weit entfernt von Zahlen aus der Zeit vor 20 Jahren, als richtig Stimmung gegen Flüchtlinge bis zur Änderung des Asylgesetzes gemacht wurde. Damals kamen über 400.000 Menschen im Jahr nach Deutschland, 2012 waren es keine 80.000. Fünf Prozent davon muss Berlin aufnehmen. Etwa 4.000 also. Das kann doch nicht so ein großes Problem sein?

Trotzdem führt die steigende Zahl, die etwa mit dem Bürgerkrieg in Syrien in Zusammenhang steht, dazu, dass kurzfristig neue Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden müssen. Die Zahl der Heime ist in den vergangenen drei Jahren in Berlin von sechs auf mittlerweile 30 angestiegen. Das liegt auch daran, dass Flüchtlinge in Berlin kaum noch Wohnungen finden.

Gibt es denn tatsächlich Probleme da, wo Heime sind?

Nein. Oft wissen und merken die AnwohnerInnen gar nicht, dass in ihrer Nachbarschaft ein Flüchtlingsheim ist. Eher ist die sehr begrenzte Privatsphäre in den Heimen ein Problem für die Flüchtlinge. Als Flüchtlingsrat plädieren wir deshalb ja auch für die Unterbringung in Wohnungen, wie es in Berlin vorrangig stattfinden soll. Aber die landeseigenen Wohnungsgesellschaften, die jährlich 275 Wohnungen zur Verfügung stellen sollen, vermieten erst etwa hundert Wohnungen im Jahr an Flüchtlinge.